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Vom holländischen Operationszimmer

In Holland wird nicht einsam in stillen Garagen gewerkelt - ein Motorausbau gerät zu einem Happening

Karel Beukema

Unterstelle mal: du hast eine sich noch im Originalzustand befindende ’57-er 11 Légère die über 20 Jahre stillgestanden hat, mit blockiertem Motor, in einem räumlichen Schuppen auf einem Bauernhof, und… eine Menge Freunde vom Traction Club. Bei einem Zusammensein sagst Du so locker: “wer hat Lust bei mir zu Hause am Opertionstsch zu stehen wenn der Motor von den Chirurgen angefasst wird?” Auf der Website und im Clubheft wird noch ein wenig Werbung gemacht.

Eines der Mitglieder schlägt sogar vor, dieses besondere Ereignis über eine Satellitverbindung weltweit verbreiten zu lassen, jedoch von diesem Vorhaben muss wegen Budgetprobleme leider abgesehen werden.

Am Grossen Tag erscheinen etwa 10 Mann, selbstverständlich nahezu alle mit der Traction (?), es ist ja ein herrlicher Herbsttag…

Der Patient ist in einem wohl fast idealen Raum aufgestellt: viel Platz, Torkran, usw.

Wie fassen wir die Kuh bei den Hörnern? Auf holländischer Weise naturlich! Man fängt mit Kaffee an (schon gut), danach stellen wir uns mit den Händen möglichst tief in den Taschen um den Patienten herum auf, ziehen mal einen Arm oder Bein um zu fühlen ob es sich tatsächlich um einen Menschen (in diesem Fall eine Traction) handelt. Danach fangen wir an zu reden zu reden, zu reden, zu reden. Man soll es auf diese Weise anfassen, nein man sollte es bestimmt so machen, ich würde es bestimmt so-und-so machen, usw, usw. Lasse den Zylinderkopf auf dem Motor, dann hebt man das Ganze leichter aus dem Wagen heraus (bestimmt eine Wahrheit). Nein, ich würde den Zylinderkopf jetzt schon abnehmen, denn man kommt leichter heran wenn der Motor noch im Wagen steht (ebenfalls richtig). Wer schon Betriebsratssitzungen gewohnt ist, dem kommen diese Sachen bestimmt bekannt vor. So können nur Holländer vorgehen!

Neben dem Opertionstisch ist ein langer Tisch bereitgestellt, mit allem möglichen Werkzeug (Spritzbüchsen mit WD40 und Kriechöl fehlen nicht). Überdies ist es möglich, die Teile, die links und rechts vom Motor abgeschraubt werden, ordentlich hinzulegen. Einige haben schon Arbeitskleider und professionelles Werkzeug dabei. Also, los geht’s! Von den Bastlern-mit-den-Händen-in-den-Taschen angeregt, wird der 11D Motor von einigen allmählich zerlegt. Es gibt Rost auf den Kipphebeln und einige Ventile stehen offen. Also wir der Zylinderkopf abgeschraubt. Beim Lockern der Bolzen beginnt bei der Kopfdichtung Wasser zu lecken. Das Block war doch schön angezapft? Na ja, der Stopf war aus dem Block herausgedreht worden und es lief nichts mehr heraus… Wir kennen das schon!

Die Kurbelwelle stand (blockiert) in einer Position, wo die vier Kolben alle etwa halbwegs standen. Nach Abnehmen des Zylinderkopfes gab es also vier runde Löcher die mit fettem Wasser gefüllt waren und ein Block, in dem auch noch bis zum Rand rostiges Wasser stand. Nachdem die Flüssigkeit mit Papier aus den Zylindern gesaugt war, stellte sich heraus dass wenigstens die beiden mittleren Kolben durch Rost fest in ihren Bohrungen geklemmt sassen. Im übrigen gab es auffallend wenig Verschleisspuren. Der Wagen hat einen ganz niedrigen (originalen) Kilometerstand. Es blieb nichts anderes übrig, als den ganzen Motor auszubauen, die Ölwanne abzunehmen und nach Lösen der Pleuellagerkappen, die Kolben mit den Büchsen aus dem Block herauszudrücken. Also geschah es, nach wie vor von den Bastlern-mit-den-Händen-in-den-Taschen angeregt. Das Schlimmste war eigentlich, dass die meisten Bolzen hinter einem dicken 48-jährigen Dreck versteckt waren. Dies traf insbesondere bei den zweimal vier Differentialbolzen der Antriebswellen zu. Nach dem üblichen Fummeln um die Antriebswellen von den Differentialflanschen abzubekommen, stand der Motor frei und konnte mit Hilfe des Elektrotakels aus dem Wagen gehoben werden.

Am taktisch richtigen Moment erschien die Gastgeberin mit Suppe und Brötchen. Da nun nicht mehr soviele Augen auf den Patienten gezielt waren, konnten die Chirurgen etwas schneller vorgehen. Nach einiger Zeit stand das Block umgekehrt auf zwei Holzklötzen, war die Ölwanne abgenommen und konnten die Pleuel das eine nach dem anderen demontiert werden. Beim Abnehmen der ersten Pleuellagerkappe spürten einige Spezialisten bereits, dass sowohl die Lagerschalen wie auch der Lagerzapfen fast noch im Neuzustand waren. Dies erwies sich bei alle vier Pleuellagern in gleicher Weise. Und die Kurbelwelle drehte, von den Hemmnissen befreit, so glatt und sauber rund, wie man ’s nur bei einem neuen Motor erwarten kann. Schlussfolgerung: ausser gründlicher Reinigung, braucht hier nichts Eingreifendes vorgenommen zu werden.

In der Zwischenzeit war der Seitentisch immer voller und der Motorblock immer nackter geworden. Nachdem alle vier Kolben (manche mit starkem Überredungskraft) aus den Büchsen herausgetrieben waren, stellte sich heraus, dass auch die Zylinderwände und die Kolben sich eigentlich fast in Neuzustand befanden. Ein Versuch, die Kolben nach gründlicher Reinigung und Hohnen der Büchsen, mit neue Kolbenringen wieder zu verwenden, wird wahscheinlich einen noch über viele Jahre hinweg beispielhaft funktionierenden Motor zur Folge haben.

Nähere Untersuchung des Zylinderkopfes ergab ziemlich bald die vermutliche Ursache allen Elendes (eine undichte Zylinderkopfdichtung). Sogar mit dem nackten Auge war zu sehen, dass der Zylinderkopf nicht flach war. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass bei einem der Auslassventile ein Stückchen fehlte. Ja, sagte der Eigner, 20 Jahre her – das letzte Mal lief der Motor etwas unregelmässig, sonst fuhr der Wagen bestens…

Opertion mit Erfolg abgeschlossen, Patient…. muss noch eine Weile beatmet werden

Mit freundlichen Grüssen,

Die Operationsschwester