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Unrestaurierte Traction Avant
Ueberlegungen zum Erhalt alter Fahrzeuge im Originalzustand

Friedrich Forssman

 

Der Streit zwischen den Liebhabern gründlicher Restaurierungen und denjenigen, die die Patina eines Fahrzeuges für einen wichtigen Bestandteil seiner Geschichte halten, wird endlos währen. Ich bekenne mich zur zweiten Gruppe und finde, daß es für eine Totalrestaurierung nur zwei Gründe gibt: Erstens ein wirklich schlechter Zustand des Fahrzeuges, der einen Teil-, geschweige denn einen Ganz-Erhalt der ersten Schicht nicht zuläßt. Und zweitens eine mangelhaft erfolgte Restaurierung, wie man sie so oft antrifft. Die Gründe hingegen, ein altes Fahrzeug ein solches sein zu lassen, sind vielschichtig: Ein historisches Fahrzeug ist eben nicht nur Form, sondern auch historisches Dokument seines Alters und Alterns; restaurierte Fahreuge hingegen sehen aus wie 1:1-Modelle. Der Umgang mit einem patinierten Fahrzeug ist lässiger; man hat nicht bei jeder Fliege, die an der Windschutzscheibe zerschellt, das Gefühl, nun sei es kein "1+"-Auto mehr, und man setzt sich auf die abgenutzten Sitze, statt auf
neu bezogene, die mit modernen Schonbezügen geschützt werden. Der Umgang ist aber gewiß nicht nachlässiger: Daß die Geschichte des Fahrzeugs und der Zeiten, die es überdauert hat, sich in so vielen Details spiegelt (bzw. oft gerade eben nicht mehr spiegelt), erzeugt Ehrfurcht; Patina ist auch Aura. Und schließlich: Restaurieren kann man immer noch, wenn man eines Tages ganz im klaren darüber ist, daß man das machen lassen muß und wie man das machen lassen möchte; Patina aber kann nie wieder zurückgebracht werden. So nehme ich sogar an, daß unrestaurierte Fahreuge in gutem Allgemeinzustand wertbeständiger sind als Restaurierungen, die nicht absolut vollkommen durchgeführt wurden (und langfristig womöglich sogar noch mehr als diese ...).

Nicht einfach ist die Frage zu beantworten, wie Patina zu erhalten ist. Ich bin in Verbindung mit einem Technik-Restaurator; wenn er einen Pflegeplan ausgearbeitet hat und Interesse besteht, berichte ich gerne von den Maßnahmen.

Dies zum Allgemeinen, auf Gegenargumente bin ich neugierig. Nun zum Speziellen, meinem Citroën Traction Avant 11 BN von 1955, Bleu Nuit.
Gekauft habe ich ihn im November 2005 im Berliner Meilenwerk, bei "Atelier Automobile" (www.atelier-automobile.de), wo er gründlich, aber schonend überholt und als "Belle Patine" angeboten wurde. Die schablonierten Zahlen im Motorraum weisen darauf hin, daß das Fahreug am 24.12. vom Band gelaufen ist. Offenbar waren die Arbeiter trotz (oder wegen) der Freude auf den Heiligabend besonders aufmerksam, denn der Wagen hat über 50 Jahre Alltagseinsatz gut überstanden.
Geschweißt ist nichts, er weist auch keine großflächigen Neulackierungen auf, der Unterboden sieht erstaunlich gut aus. Es gibt keine Durchrostungen; aber, wie man vor allem auf einem Detail- Photo sehen kann, hier und da (vor allem an den bekannt neuralgischen Punkten der Kotflügel-Aufnahmen) unheilverheißende Rostaufwerfungen; da wird dem obengenannten Erhaltungs-Spezialisten hoffentlich etwas einfallen. Der Innenraum ist, von Türverkleidungen abgesehen, die der Vorvorbesitzer (immerhin handwerklich sehr gut und mit Original-
Materialien) hat ersetzen lassen, im Erstzustand: recht verschlissene Teppiche und Sitze, ein gauloisesbrauner Dachhimmel. Wohl in den 60ern ist ein Radio dazugekommen (das mit Hilfe einer Kombination aus tragbarem CD-Spieler und einem bei ebay für wenige Europa-Stutz erhältlichen UKW-Senderchen gelernt hat, vom Handschuhfach aus zugefunkte Chansons abzuspielen, ohne daß Kabelanschlüsse geändert werden mußten!). Als Original- oder zumindest zeitgenössisches Zubehör wurde die Chromstahl-Rolle auf dem Gaspedal bezeichnet, die tatsächlich recht komfortabel ist; es trägt eine Firmenmarke, die in einem orangefarbenen Globus mit goldener Banderole besteht, auf der "MARVE[L?]" steht (weiß jemand Näheres?).

Einige Einbauten im Motorraum sind nicht original: Die Solex- Benzinpumpe wurde lahmgelegt und durch eine modernere ersetzt, der Vergaser ist neueren Datums, die Kupplung stammt, wie mir gesagt wurde, aus einem VW LT 28 und die Lichtmaschine wurde auf Drehstrom umgebaut. Beim Defekt eines dieser neueren Teile (und ich bin tractiongläubig genug zu denken, daß die neuen Teile nicht so lange halten werden wie die alten) werde ich sie wohl wieder durch Originale ersetzen lassen. Auch der Motor ist kein 11D, sondern ein einfacher 11 Perfo. Den würde ich nicht so gerne bald ersetzen müssen, "Atelier Automobile" hat ihn aber gründlich überholt und z.B.
sogar die Kurbelwelle feingewuchtet, sodaß es keinen geeigneteren Ort für ein gepflegtes Mikadospiel gibt als die Haube bei laufendem Motor. Übrigens halte ich überraschenderweise einen "Originalzustand"
nicht für das einzig Wahre: Die "falschen" Radkappen und die auf einer BN nie ab Werk montierten 185er Reifen empfinde ich ebenso als zur Geschichte dieses Fahrzeug-Individuums gehörig wie das am Armaturenbrett vorgefundene magnetische Christophorus-Plakettchen, mit dem es mir geht wie Heisenberg mit dem Hufeisen (daran zu glauben, daß es auch dann wirkt, wenn man nicht daran glaubt).

Auf den bekannten Kalauer, daß es sich um Fahrzeuge handele und nicht um Stehzeuge, habe ich unter anderem dadurch reagiert, daß ich mit der Traction aus meinem Wohnort Kassel zu Daniel Eberlis vorzüglichem Reparaturkurs gefahren bin, eine Reise von (inklusive Umwegen) 1400 Kilometern. Seitdem trägt die Traction stolz eine Schweizer Autobahnvignette (und stolz war ich, als der Schweizer Zoll das Fahrzeug hinauswinkte. Ist eben doch ein Gangsterwagen, wie? Doch lediglich ein abgelaufener Personalausweis reichte leider nicht zur stilechten Nacht hinter Gittern). Ein tiefes Gefühl der Hochachtung für die Konstrukteure und die Arbeiter am Band, die ein Stück komplexer Technik von derartiger Standfestigkeit produziert haben, überkommt mich jedesmal, wenn ich nach längerer Fahrt den (reichlich abgerundeten Original!-)Zündschlüssel abziehe.

Dies ist mein einziges Auto und ich habe vor, es noch 50 Jahre zu fahren; dann bin ich 90 und stelle einen Chauffeur ein. Spätestens dann bekommt man das Benzin gewiß wieder, wie zu Beginn der Automobil- Ära, nur in der Apotheke. Und wenn ich überhaupt 90 werde, dann gewiß auch dank meiner Überzeugung, daß es eine Fortbewegungsart gibt, die noch lässiger ist als sogar das Tractionfahren: Das Gehen.

Hier die Bilder meiner Traction