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Schrauberkurs! Noch Fragen?

Besuch eines Schrauberkurses im Mai 2014 bei Daniel Eberli in der Schweiz

Peter Waldecker

Grau und tief hängen die Regenwolken über dem Voralpenland. Alles ist pitschnaß, aber wenigstens hat es aufgehört zu schütten. Auf dem Weg in die Schweiz habe ich am Nachmittag Freunde in St. Blasien im Südschwarzwald besucht, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, daher bin ich nun auf kleinen Nebenstraßen in wunderschöner Landschaft unterwegs. Seit dem Passieren der Grenze hat das Navi meines BMW Baujahr 1998 kein Wort mehr mit mir gesprochen, anscheinend war die Schweiz vor 16 Jahren noch nicht digitalisiert. Zum Glück habe ich mir vor der Fahrt auf Google Maps den Weg genau eingeprägt und navigiere auch ohne meinen elektronischen Lotsensicher durch die Fluten. Der Anfänger-Schrauberkurs, zu dem ich mich vor drei Wochen angemeldet habe, findet bei Daniel Eberli in Benken bei Schaffhausen statt. Das ist ganz leicht zu finden. Nur in Schaffhausen direkt an den Rhein auf die Uferstraße fahren und dann über die Brücke auf das linke Rheinufer wechseln in Richtung Winterthur und immer schön auf der Landstraße B15 bleiben, nur nicht auf die Autobahn auffahren. Der Rhein fließt randvoll, ruhig und tiefgrün dem Rheinfall entgegen. Ich überquere ihnauf der Brücke und fahre gemächlich mit halber Fahrt immer auf der B15 entlang, bis ich nach 10 Minuten das Ortschild von Benken sehe.

Nun wird es noch einmal spannend. Trotz maximalem Gehirndruck fällt mir nicht mehr ein, wo Danis Adresse Im Chellhof 3 im Ort liegt. Die Straße ging von der Hauptstraße irgendwo rechts ab, aber wo? Kurz vor dem Kirchturm halte ich in einer großen Einfahrt rechts an und frage eine Frau. „Guten Tag, können Sie mir sagen wo der Chellhof liegt?“ Die Frau schaut mich ungläubig an. Liegt es an meiner Aussprache? Schellhof mit Sch- oder doch Chellhof wie „China“? „Sie meinen wohl den „Kellhof“? Ja, da stehen Sie doch direkt davor …“ Na prima, der Junge kann weder richtig sprechen noch lesen, denn nun entdecke auch ich das Straßenschild „Im Chellhof“, vor dem ich angehalten habe. Wenigstens habe ich es ohne Probleme gefunden, das ist ja durchaus keine schlechte Leistung. Allerdings bin ich spät dran, es ist schon 19:15 Uhr also flugs das Auto auf dem kleinen Parkplatz nebenan geparkt und 20 Meter die Sackgasse runtergelaufen, dort ist unverkennbar Danis Haus. Ein dunkelblauer 15 CV schmiegt sich an die Hauswand vor der Garage, mehrere schöne historische Citroen-Schilder an den Hauswänden des Hofes, eine alte Benzin-Zapfsäule unter dem Baum neben dem Eingang. Unverkennbar das Heim eines wahren Citroenisten.

Chellhof

Ich klingele, nichts …klingele nochmal … Ein freundlich lächelnder Herr öffnet die Haustüre. „Grüëzi. Du mußt der Peter sein. Bist aber zu spät. Wir haben schon angefangen zu essen. Na, dann komm mal rein, wird schon noch was übrig sein.“ Am Tisch sitzen Agi, Danis super nette Ehefrau, Adrian, der für den Kurs extra aus London eingeflogen ist, und Oliver, der aus Ettlingen angereist ist. Unser Kurs ist mit drei Teilnehmern klein, was für uns aber ein großer Vorteil ist, denn umso intensiver ist der Kurs. Adrian hat längere Zeit in Frankfurt gearbeitet und spricht zum Glück perfektes Deutsch. Wir sitzen noch bis 23 Uhr zusammen und erzählen bei mehreren Glas Wein über Gott und die Welt und - natürlich - über den Grund unseres Kommens, über Citroens. Schließlich mahnt Daniel ins Bett zugehen, denn der nächste Tag wird anstrengend … er wird Recht behalten!

Der Kurs ist an zwei Tagen, Freitag und Samstag, der erste Tag ist für Theorie vorgesehen, am zweiten Tag können wir unser erworbenes Wissen am lebenden Traction anwenden. Adrian, Oliver und ich übernachten in Agi & Danis Bed & Breakfast, das ist super praktisch. Am nächsten Morgen frühstücken wir um 8 Uhr mit leckerem frischem Brot vom Bäcker aus Benken. Der Kurs beginnt um 9 Uhr im 100 Meter entfernt liegenden Gasthof Baumgarten, da dort für Daniels Multi-Media-Vortrag mehr Platz ist. Außerdem essen wir im Gasthaus zu Mittag, das spart lange Wege und gibt uns mehr Zeit für den Kurs. Und diese Zeit brauchen wir dringend, denn wir sind vollerBegeisterung dabeiund fragen Daniel buchstäblich Löcher in die Ölwanne bzw. in den Bauch. Wie geht dieses, wie geht jenes? Warum ist das so und nicht anders? Komischer Name, warum wird das denn so bezeichnet? Danis Vortrag ist sehr gut aufgebaut und man merkt, daß er das schon seit 30 Jahren macht. Keine Frage ist zu dumm, daß sie nicht gestellt werden darf, und keine Antwort bleibt Dani schuldig.

Grundlage ist im Prinzip Daniels Buch „Citroën Traction Avant 11 & 15 CV für Anfängerund Fortgeschrittene“, das 120 Seiten lang ist und prall gefüllt mit allem, was einem Traction-Schrauber hilft. Ich habe das Buch schon vor zwei Jahren auf einer Oldtimer-Messe gekauft und seitdem immer wieder gerne zur Hand genommen. Trotzdem geht der Kurs über das Buch hinaus und ist didaktisch einfach klasse. Und im Kurs kann man fragen, fragen, fragen … Am Abend wissen wir nicht, wer von uns müder ist, wir von der intensiven Informationsaufnahme oder Dani vom vielen Reden. Außer der guten Didaktik und der direkten Fragemöglichkeit ist noch etwas extrem gut: Daniels Teilekisten, die er mitgebracht hat. In etwa 6 - 7 Kisten hat Daniel über die Jahre alle möglichen Teile gesammelt, die wir direkt in Augenschein nehmen und mit denen wir hantieren können: Außerdem hat Daniel viele Nebenaggregate oder größere Bauteile teildemontiert oder so aufgeflext, daß man ins Innere sehen kann. Das ist einmalig gut. Ohne viel Fragen (auch das geht nämlich) sieht man sofort, wie etwas funktioniert und warum etwas eine Fehlfunktion haben oder kaputt gehen kann.

Traction Avant Teile

Thematisch macht Daniel einen Rundumschlag. Funktionsweise des Motors, alle Nebenaggregate, Elektrik, Kupplung und Getriebe, Differential, Fahrwerk, Bremsen … kurz und gut: alles kommt dran. Und außerdem kann man – ja, richtig – auch noch fragen …Dazu massenweise Tips und Erfahrungen aus einem langjährigen Tractionisten-Leben. Um 19 Uhr, also nach 9 1/2 Stunden Unterricht mit 30 Minuten Mittagspause, unterbricht Dani schließlich. „Ich kann es kaum glauben, ich bin mit dem Stoff noch nicht ganz durch, ich bräuchte jetzt noch etwa 2 Stunden. In KEINEM Kurs wurden bisher so viele Fragen gestellt !!!“ Unsere Zermürbungstaktik zeigt erste Wirkung. Trotzdem ist sofort klar, daß wir jetzt alle für den Tag Schluß machen wollen. Aber schweizer Präzision erfordert es, daß die 2 Stunden Unterricht selbstverständlich noch abgehalten werden, nämlich am Samstag vor dem Praxisteil. Wir helfen Daniel, alles zusammenzupacken und gehen noch kurz auf unsere Zimmer, bevor wir uns zum Abendessen treffen. Daniel hat um die Ecke bei einem Winzer im Ort eine leckere Vesper organisiert. Dazu noch ein paar Gläser Wein, wozu sitzen wir schließlich an der Quelle … Um 23 Uhr fallen wir tot in unsere Betten.

Der Samstagmorgen beginnt wieder um 9 Uhr mit der übrig gebliebenen Theorie. Um 11 Uhr schlüpfen wir in unsere Schrauber-Klamotten und gehen in Daniels Werkstatt am Haus. Ja, da schlägt das Herz höher: Platz für 3 Autos, Grube, Laufkatze an der Decke, Druckluft aus der Leitung, voll ausgestatteter Werkzeug- und Arbeitsbereich, so macht Schrauben Spaß und geht gut von der Hand!Über der Grube steht der 11CV légère von Danis Nachbarn, der ebenfalls vom virus citroenus befallen ist. Daniel zeigt uns wie, wo und was wir perfekt, akzeptabel oder unter keinen Umständen machen können. Auto anheben, Ansetzpunkte, Schmierstellen, Wartungsplan, Problemstellen … Dann stellen wir den Ventilspiel ein. Zuerst jeder probeweise an einem alten Motorenmodell, das wir noch aus der Fahrschule kennen, dann an Nachbars 11er. Schließlich nehmen wir noch die Räder runter und ziehen die Bremstrommeln (natürlich mit Original-Abzieher) ab. Bremsbeläge kontrollieren. Die sind noch OK, also alles wieder montieren. Um 17 Uhr sind wir fertig und der 11er fährt zu unserem Erstaunen trotz aller unserer Arbeiten ohne Probleme wieder aus der Werkstatt. Ein Traction Avant ist halt schlicht und einfach ein tolles und robustes Auto.

Stirnradkette

Fazit: ein solcher Schrauberkurs ist sehr geeignet für alle Citroenisten, die durchaus ein Grundwissen und -verständnis haben, sich aber trotzdem noch mehr theoretische und praktische Erfahrung wünschen, Fragen besprechen wollen und unter praktischer Anleitung selbst Arbeiten ausführen möchten. Mir hat der Kurs extrem viel Spaß gemacht, ich habe sehr viel Nützliches gelernt und der Kurs hat meine Hemmschwelle, selbst zu Schrauben, deutlich verringert und meine Motivation stark gesteigert. Wenn man eine längere Anreise hat, kann man den Kurs wunderbar mit ein paar weiteren Tagen im Schwarzwald, am Bodensee oder in der Schweiz rund um Schaffhausen verbinden und verbringt sicher sehr schöne Tage.

P.S. Drei Wochen nach dem Anfänger-Kurs habe ich bei Daniel noch einen Fortgeschrittenen-Kurs gemacht. Dieser Kurs mit 7 Teilnehmernhatte ebenfalls einen Theorieteil, der tiefer auf bestimmte,ausgewählte Themen eingegangen ist, und einen Praxisteil, der umfangreicher als beim Anfänger-Kurs war. Die praktischen Arbeiten im Fortgeschrittenen-Kurs hängen davon ab, was am Traction, an dem jeweils gearbeitet wird, zu tun ist. Alle Kurse finden im Frühjahr statt, Infos findet man unter http://www.oldtimer-taxi.ch/