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Originalität, wo fängt sie an, wo hört sie auf ?

Roland Reichert

In der Tat, ein schon viel diskutiertes Thema – und in den beiden Berichten, die Clubmitglied Helge Torgersen eingesendet hat, gipfelt das in schier unglaublichen, aber typisch amerikanischen und für unsereins nur sehr schwer nachvollziehbaren Dimensionen.
Hier möchte ich vorausschicken, dass ich im Grunde genommen ein eingefleischter „Entenfahrer“ bin und mit dem Citroën 2CV sozusagen aufgewachsen bin. Mein Papa kaufte 1963, als das Eigenheim gute 12 km von Saarbrücken entfernt geplant und gebaut wurde, als erstes Fahrzeug einen 2CV. Diesem folgte 1969 ein neueres Modell mit beachtlichen 16 PS und Platz für Eltern und drei Kinder. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Gerangel auf der Rückbank, die Fahrt über den Großglockner und den gemeinsamen Urlaub auf der Insel Elba. Ein schier unvergessliches Kindheits-Erlebnis.
Genau dieser 2CV sollte es sein, den ich 1975 als mein erstes eigenes Fahrzeug in die Hände bekommen sollte. Seit dieser Zeit bin ich bis auf einen einzigen kleinen Seitensprung zu Mazda der Marke Citroën treu geblieben und aus der einstigen „Entenliebe“ wurde eine recht ausufernde „Enten-Leidenschaft“. Erst eine, dann zwei, dann drei, dann vier – und schon war der Platz nicht mehr ausreichend und es musste eine Halle angemietet werden.
Im Laufe der Jahre gesellte sich Teil zu Teil, Fahrzeug zu Fahrzeug. Aus dem einstigen Club-Mitglied Roland Reichert wurde ein eigener 2CV-Club, dem ich heute als „Präsident“ vorstehe. Der Name ist Programm: 2CV-Club Action-Ents-Saar. Im Internet zu finden unter http://www.action-ents-saar.de/
Über die Seite kommt man auf hunderte von Bildern und Artikeln, die Einblicke geben in das bunte Clubleben und die sehr lebendige Szene des kleinen charmanten Franzosen, der nie groß sein wollte, nie schön und doch Millionen Fans in seinen Bann gezogen hat – und es noch heute tut.

Doch nun zurück zum Thema „Originalität“ :
Seit ich 2CV fahre, oder zumindest spätestens nach dem ersten Jahr, mit dem selbst verschuldeten Motorschaden, war ich bemüht, mich in die recht simple, aber anderseits auch sehr robuste Technik dieses Fahrzeuges einzuarbeiten. Heute bin ich mit fast 55 Jahren ein „alter Hase“ und blicke auf 37 Jahre „Entenschrauben“ zurück, was nicht heißt, dass man nicht alle Tage Sachen erlebt und sieht, die man so noch nie gesehen hat, oder auch nie für überhaupt möglich gehalten hätte. In dieser langen Zeit habe ich viele Fahrzeuge in Ihre Einzelteile zerlegt und wieder neu aufgebaut, sie zum Teil geschlachtet aber auch nur so zum Spaß, oder im speziellen für Fasching zu Exoten umgebaut. Dass mir das Schrauben Spaß macht sieht man an den teilweise eigenwilligen Kreationen in den Bilderalben von Karneval und es ist immer wieder erstaunlich, was gerade der 2CV mit seinem Plattformrahmen auch an Potential bietet, um selbst beim so strengen Deutschen TÜV sogenannte „Eigenbauten“ abgenommen zu bekommen, die auch straßentauglich sind.
Auf der anderen Seite dazu stehen die „Originale“. Die Citroën 2CV, die im Originalzustand heute einen beachtlich hohen ja sogar schon fantastischen Marktwert haben. Wenn man sich in der 2CV-Szene umsieht, dann mag zwar die Anzahl der Fahrzeuge sinken, aber dafür steigt in den letzten Jahren die Zahl derer, die mit viel Liebe zum Detail, aber auch mit einem schon enormen Arbeits- und Kostenaufwand wieder in perfekten Zustand versetzt werden. Alles mit Maß und Ziel sage ich mir immer wieder selbst, bin aber halt auch nicht so der Hardliner, bei dem jetzt alles aufs i-Tüpfelchen genau oder „Original“ sein muss. Durch die Nähe zu Frankreich (ich wohne im schönen Saarland) habe ich gute Kontakte zur französischen 2CV-Szene. Auch dort splittet sich das Klientel in Gruppen auf, die sich der Pflege des Deuxchevaux verschrieben haben. Im letzten Jahr wurde in Salbris, nahe Orleans das 19. Internationale Treffen der Freunde des 2CV ausgetragen. Zu diesem Event waren 2CV-Freunde aus 39 Nationen mit 7.036 Fahrzeugen angereist und über 18.000 Personen feierten im Land der Marke Citroën das bisher größte Event, das es jemals für den 2CV gegeben hatte.
Bei solchen Treffen kann man alles Mögliche sehen. Von den eigenwilligsten Umbauten über absolut original aufgebaute Schönheiten bis zum Deuxchevaux im Zustand „dans son jus“. Wobei letztere Kategorie unbestritten wohl die meist fotografierten Exemplare darstellen, da sie das gewisse Etwas, den Grundcharakter des 2CV und die französische Lebensart, das „savoir vivre“ representieren.
Nun gut, der Citroën 2CV ist eine Sache, Autos und Oldtimer wieder eine ganz andere Liga.

Citroën Traction Avant 11BN


Am Beispiel des Traction Avant, den wir seit April 2010 unser Eigen nennen, möchte ich meine ganz persönlichen Gedanken zum Thema „Originalität“ zum Ausdruck bringen.
Es begab sich im April 2011 als wir uns mit dem Gedanken trugen zum 2CV-Ostertreffen runter nach Karlsruhe zu fahren (ca. 130 km). Es war richtig sonniges Frühlingswetter angesagt und eigentlich wollten wir eine Tagestour mit unserer 6-rädrigen FEUER-AK-Dyane machen. Als ich für dieses Vorhaben meine Halle öffnete, stand der Traction Avant vor mir, an dem von der letzten Fahrt auch noch die Wechselkennzeichen montiert waren. Warum nicht mit dem 11er fahren kam mir in den Sinn. Dem würde so eine Tagestour im Sonnenschein zum einen auch ganz gut tun – und ich könnte mir die Rangierarbeit und den Wechsel der Nummernschilder sparen.
Mit einem Traction Avant ist man zudem auch gern gesehener Gast auf einem 2CV-Treffen. Auch HY, DS und die Rahmenverwandten der Ente, Dyane, Mehari, Ami 6 und Ami 8 sind gerne gesehen. Kritischer wird es dann langsam jenseits von Citroën LN und GS, wenn man mit einem BX, CX, XM, oder gar den neueren Modellen vorfährt. Die sollte man dann doch bitte vor dem Platz parken.
Eine Sonderstellung belegt mittlerweile der Citroën Berlingo (zumindest die alten Modelle), denn der avancierte in den letzten Jahren regelrecht zum Zweitwagen der Entenfahrer. Ich gebe es gerne zu – ich besitze auch einen seit drei Jahren, um jetzt im Winter meine Entchen vor Schnee, Eis und besonders dem damit einhergehenden Streusalz zu schonen.
Als wir in Karlsruhe-Durlach auf dem Treffenplatz ankamen, war der 11er gleich von interessierten Menschen umringt. Stolz präsentierte wir Ihn auch unseren Clubfreunden, die das geräumige, schöne Fahrzeug bislang auch noch nicht gesehen hatten. Es dauerte nicht sehr lange, da kam auch die unvermeidliche Aufforderung, die Motorhaube zu öffnen, etwas, was ich nur sehr ungerne und meist nur auf Anfrage praktiziere.

Citroën Traction Avant 11BN

Nicht, dass es unter der Haube unseres 1953ziger BN eventuell aussähe wie „bei Hempels unterm Sofa“, aber ich weiß aus Erfahrung, dass es dann gleich los geht mit den Bemerkungen : „Das ist aber nicht Original, das wurde aber erst später so verwendet, das hätte ich so aber nicht gemacht“ und so weiter. Ich lasse es zwar gelinde gesagt an mir abprallen, denn ich habe hier ein Fahrzeug, welches vom vorletzten Besitzer und dem Vorbesitzer in einen sehr schönen alltagstauglichen Zustand versetzt wurde und mir dadurch hoffentlich auf lange Sicht viel Freude machen wird.
Gegenüber dem ORIGINAL hat dieses Exemplar eine 6V Drehstromlichtmaschine, eine elektronische Zündung, einen Zusatzlüfter (wenn es zu warm wird), eine Kühlerjalousie (wenn es zu kalt wird), eine Wassertemperaturanzeige und ein Ölruckmessgerät im Armaturenbrett, sowie einen limitierten Monarch-Radionachbau im Handschuhfach. Ansonsten präsentiert sich das Fahrzeug – aus meiner Sicht in einem sehr guten Original-Zustand, der laut Wertgutachten die Note 2 tragen darf.
Ein interessantes Detail, was mir ein freundlicher Kenner der Traction-Avant Fahrzeuge dort in Karlsruhe sagte, war, dass der „Kuhschwanz“ (diese Bezeichnung hatte ich auch erst dort erfahren müssen), also der Schalthebel, bei meinem Fahrzeug wohl etwas nach rechts gebogen wurde, da eventuell ein Fahrer mit langen Beinen ein Problem mit der Original-Stellung gehabt haben könnte. Da sieht man mal, auf welche Details die Leute so achten.
Die meisten wahren Citroën-Freunde sagen das mit einer gelassenen, wissenden Ruhe und man ist weit, ganz weg davon entfernt, Ihnen böse zu sein, oder Ihnen gar Besserwisserei zu unterstellen, aber es gibt Zeitgenossen, die sind da extrem penibel und gehen einem zu deutsch gesagt „so richtig auf den Sack“ mit Ihrem „das war niemals so gebaut worden - das passt da nicht hin – das gehört nicht so – und nein, wer hat denn da dran rumgepfuscht“. Manchmal weiß ich nicht so recht, ist es die geballte Form von Fachwissen, die sich einem da entgegen stellt, oder sind es vielleicht auch nur Neider, die sich schon wünschen würden, Ihr Fahrzeug verfüge über diese Alltagstauglichkeit wie sie unser 11er an den Tag legt. Mir klingt noch sehr gut der Spruch von Herrn Stockbauer, dem Vorbesitzer im Ohr, als er die 6V Drehstromlichtmaschine erwähnte, dank derer man bei Regen in der Nacht noch anständig Saft auch für den Scheibenwischer habe. Puristen können ja gerne darauf verzichten, aber es würde mir im Leben nicht einfallen, um der Originalität willen alles wieder auf null rückzubauen.
Vielleicht ist es aber auch der Zweck, der die Mittel heiligt.
Will ich ein Ausstellungsstück bei dem ich mit stolz geschwellter Brust dastehe, wenn jemand lobend den originalen Zustand erkennt und seine Bewunderung darüber zum Ausdruck bringt, oder will ich ein Fahrzeug, mit dem ich bei jedem nur erdenklichen Wetter die heimische Garage verlassen kann und relativ unbekümmert auch auf weite Fahrt gehe, ohne einen Gedanken daran verschwenden zu müssen, ob unser Veteran Jahrgang 1953 das auch durchhält.
Bis auf die regelmäßigen Wartungsarbeiten, wie Abschmieren, Zündkerzen und Luftfilterkontrolle hatte ich bislang keinerlei größere Probleme. Einzig nach der ersten längeren Fahrt beklagte sich der 11er mit lauten Fehlzündungen und ich stellte fest, dass sich die Vergasermuttern gelöst hatten. Ein relativ leicht zu behebendes Problem – und außerdem konnte ich auf die Vergaserdichtungen des 2CV zurückgreifen, der bis Anfang der 70iger den gleichen Vergaserfuß hatte.
Ups – und schon wieder nicht ORIGINAL – aber an der Stelle sieht das niemand . . .

Roland Reichert, „Wider die menschliche Originalität“, im Februar 2012