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Das Mysterium im Brennraum

Rudolf Weber

Obwohl mein Tractionmotor seit der letzten Motorrevision während nunmehr 24 Jahren immer anstandslos und zuverlässig seine Pflicht erledigt hat, war ich mir bewusst, dass früher oder später das Triebwerk wieder einmal ein Thema sein könnte. Und das Ohr eines Oldtimerfahrers ist auch beim Lenken eines zuverlässigen Fahrzeuges immer sensibilisiert, um allfällige Misstöne rasch entdecken zu können.

Vor zwei Wochen besuchte ich mit meinem Sohn - nach einer recht zügigen Fahrt auf der Oberlandautobahn bei der auch mal 120 km/h erreicht wurden - einen Fahrzeughändler im zürcherischen Aatal. Nach einem Bummel um allerhand lackiertes Blech, welches eher meinen Sohn als mich fasziniert hat – mehr als zehn Jahre alt war halt keines dieser Fahrzeuge – wollten wir rechtzeitig zum Mittagessen wieder zu hause sein.

Also flugs der Motor gestartet und gleich die Nackenhaare gesträubt. Aus der Gegend der Motorhaube erklangen Töne, welche eindeutig nicht dorthin gehörten. Ein helles Scheppern und Klingeln hätte auch einen Laien beunruhigt und jagte mir kalte Schauer den Rücken hinunter. Also Motor sofort wieder abstellen.

Ein Blick unter die Motorhaube zeigte nichts Beunruhigendes und deshalb wagte ich nochmals einen Startversuch. Das störende Geräusch war sofort wieder da und bei offener Motorhaube war auch klar, dass die Störung nicht von einem sichtbaren Teil stammte, welches beispielsweise durch Vibration diese Töne erzeugte.

Also packte ich den Werkzeugkoffer aus, demontierte den Luftfilter und dann den Ventildeckel. Jetzt wurde rasch klar, was die Geräuschquelle war. Eine Stösselstange schaute lose aus dem Zylinderkopf. Doch weshalb konnte sie sich aushängen?

Ein zweiter Blick zeigte dann, dass auch der entsprechende Kipphebel lose war. Seltsamerweise blieb das Ventil im geöffneten Zustand, also bei gespannter Feder, offen. Nachdem ich die Stösselstange herausgezogen hatte, wagte ich nochmals einen Startversuch. Der Motor sprang sofort an, lief aber logischerweise nur auf 3 Zylindern und entsprechend ruppig.

Liesse sich wohl das Ventil lockern, wenn man dessen Feder durch einen Schlag noch mehr spannte? Leider ohne Kunststoffhammer im Gepäck versuchte ich dies mit schlechtem Gewissen mit einem Metallhammer. Das Ventil liess sich aber mit dieser Methode nicht lösen.

Zum Glück konnte mein Sohn per Natel rasch einen Freund auftreiben, der bereit war, uns die ca. 10 km nach Hause zu schleppen. Natürlich ist das immer eine schmachvolle Angelegenheit, wenn das Auto nicht aus eigener Kraft die Garage erreicht und meist sind in solchen Fällen auch gerade alle Nachbarn am Rasenmähen oder Grillieren und können sich am Spektakel ergötzen.

Da ich befürchtete, dass der Zylinderkopf runter muss, versuchte ich nochmals den Trick mit dem Hammer, diesmal aus Kunststoff. Schon beim zweiten Schlag schnellte das Ventil wieder in seine richtige Lage zurück. Ende gut alles gut? Also Motor frisch gestartet und wiederum gesträubte Haare im Nacken. Ein neues Geräusch war nun zu hören, welches noch wesentlich seltsamer klang. Interessanterweise erklang das Geräusch nicht im Rhythmus der Drehzahl sonder unregelmässig, auch bei verschiedener Gasstellung. Trotzdem wagte ich die 6 Meter in die Garage aus eigener Kraft zu fahren und stellte den Motor wieder ab, im Wissen, dass nun der Kopf definitiv runter muss.

Das Original-Citroen-Werkstatthandbuch erwies sich – wie vor 50 Jahren – als sehr nützlich, um systematisch und in der richtigen Reihenfolge vorzugehen. Die Motorhaube ist jeweils rasch weg, Luftfilter und Ventildeckel hatte ich bereits im Aathal entfernt. Auch den Vergaser baute ich aus und – um die Auspuffröhre besser abflanschen zu können - ebenso die Lichtmaschine. Weiter galt es den Kühler zu entleeren und die Schläuche von und zu der Wasserpumpe zu demontieren. Leider gelang es nicht, das Wasser aus dem Motorblock zu entleeren, da der hinter einer Verschlussschraube liegende Gang im Motorblock so verstopft resp. verkalkt war, dass er auch mit scharfen Gegenständen nicht deblockiert werden konnte.

Nicht zu vergessen ist die Ölleitung, welche das Öl vom Motor zum Zylinderkopf transportiert. Ich beschloss, Ansaug- und Auspuffkrümmer sowie die Ventilmechanik am Kopf zu lassen. Bei Bedarf könnte das immer noch abgebaut werden. Endlich konnten nun die Zylinderkopfschrauben geöffnet werden, was überraschend leicht ging angesichts der Tatsache, dass sie 24 Jahre unverrückt an dieser Stelle gesessen hatten.

Wie zu erwarten war, lief beim Anheben das ganze noch im Kopf befindliche Kühlwasser aus und überflutet die Zylinder. Doch der Kopf war nun weg, was aber angesichts des angeflanschten Krümmers und der Ventilmechanik und entsprechendem Gewicht nur mit zwei zufällig dazu gestossenen Helfern möglich war (ein Königreich für einen Flaschenzug an der Garagendecke!).

Fremdkörper im Brennraum (Ansicht rekonstruiert, nach dem Reinigen der vorher verrusten Teile)

Sofort pumpte ich mit einer kleinen Handpumpe das Kühlwasser aus den Zylindern um rasch eine erste Übersicht über die Störungsursache zu erhalten. Die ganz grosse Überraschung bot Zylinder Nummer eins. Auf dem Kolben lagen nämlich zwei Gegenstände, welche eindeutig nicht hierher gehörten. Es handelte sich um ein grösseres und kleineres Metallteil. Nach dem Waschen in Petrol schimmerte das Metall hell und hatte eine Struktur wie Zinn oder Blei. Ein Magnettest zeigte aber, dass es sich um Eisen oder eine Eisenlegierung handelt.

Offensichtlich sind diese Fremdkörper die Ursache des Geräusches. Sie mussten beim laufenden Motor wild im Brennraum herumgeschüttelt worden sein. Interessanterweise zeigten weder Zylinderwände noch die Ventile Spuren. Alles schien intakt. Alles? Nein – bei der entsprechenden Kerze reckt sich der normalerweise 90 Grad umgebogene Kontakt senkrecht in die Höhe.

Beschädigte Kerze

Da mir ein solcher Fall noch nie zu Ohren gekommen war, kontaktierte ich einige Clubkameraden um vielleicht einen Hinweis zu kriegen. Eine naheliegende These konnte rasch ausgeschlossen werden. Könnte es sich um ein Stück Kolbenring handeln? Doch die Teile waren zu gross um, ohne jegliche Spur zu hinterlassen, zwischen Kolben und Zylinderwand heraufgewandert zu sein.

Unbeschädigte Zylinderwand

Um es kurz zu machen – bis heute weiss ich nicht mit Bestimmtheit, woher die Metallteile stammen. Nach verschiedenen Gesprächen - zwei Kollegen liessen es sich nicht nehmen, das ganze sogar in meiner Garage zu studieren – bleibt folgende Hypothese mit der grösster Wahrscheinlichkeit.

Vor ca. zwei Jahren hatte ich zum letzten Mal meinen Vergaser zwecks Reinigung entfernt. Anstelle des Vergasers klafft in solchen Fällen einfach ein grosses rundes Loch im Ansaugrohr. Könnte es sein, dass irgend ein Gegenstand in dieses Loch gefallen ist? Könnte beispielsweise eine Unterlagsscheibe beim Entfernen des Vergasers der Schwerkraft folgende in diesem schwarzen Loch verschwunden sein? Und wenn es gar eine Mutter gewesen wäre?

Wie auch immer – gemäss der Hypothese müsste ein solches Teilchen nun monatelang im Ansaugrohr Zwischenstation gemacht haben und sich dabei deformiert haben (seltsam, hat man das nicht gehört). Bei der erwähnten schnellen Fahrt muss sich folgendes zugetragen haben: durch die hohe Drehzahl, den entsprechenden Ansaugdruck und vielleicht auch durch die bei dieser Drehzahl erzeugten Vibrationen könnte das Teilchen aus seiner Zwischenstation Richtung Ansaugventil gewandert sein und dort, beim Versuch in den Brennraum zu gelangen, das Ventil in offener Stellung blockiert haben.

Der Hammertrick hat dann vermutlich nicht nur das Ventil bewegt sondern mit seinem Impuls das Teilchen endgültig in den Brennraum katapultiert. Das besagte Teilchen weist einen ventilähnlichen Abdruck auf, was diese These zu stützen scheint. Sein Unwesen konnte es im Brennraum also nur sehr kurz treiben, beim Starversuch im Aatal und dann nochmals vor meiner Garage. Beidesmal lief der Motor nur kurz und niedertourig, was erklärt, weshalb im Brennraum keine Spuren zu finden waren. Der umgebogene Kerzenkontakt kann aber nur durch einen ziemlich heftigen Schlag – eben von einem solchen Teilchen – verursacht sein. Warum gerade zwei Teile auf dem Kolben lagen, ist schwer zusagen. Vielleicht wurde das ganze durch den Schlag des Ventils geschwächt und ist dann bei laufendem Motor und der dabei erzeugten Hitze in zwei Teile zerbrochen.

Vorderseite der Fremdkörper - die Abdrücke könnten vom Ventil stammen
Rückseite der Fremdkörper

Sollte ich nun den Motor einfach wieder zusammenbauen? Oder – wie mir einzelne Kollegen rieten – das betroffene Ventil ausbauen um den Sitz zu prüfen? Da der Zwischenfall sich mitten in der Fahrsaison ereignete, ging ich auf Risiko, und beschloss, den Kopf samt auf geschraubtem Ventilspiel wieder zu montieren. Zuvor hatte ich allerdings noch die Dichtigkeit der Kolbenringe geprüft, indem ich die Zylinder mit den Kolben in jeweils gleicher Stellung mit Petrol füllte und per Stoppuhr mass, wie lange das Petrol brauchte, um Richtung Kurbelwelle abzufliessen. Beim Zylinder 4 dauerte das ca. 45 Minuten, was sehr beruhigend war. Beim nächsten Zylinder musste ich dann schon eine Stunde warten was aber noch gar nichts war im Vergleich zum Zylinder 3. Dort stand das Petrol auch noch nach zwei Tagen praktisch auf dem selben Niveau! Der 1. Zylinder, also das Sorgenkind hatte dann wiederum einen kürzeren Wert, nämlich knapp 40 Minuten.

Der Brennraum sowie die Ventile scheinen unbeschädigt

Eine neue Zylinderkopfdichtung, neue Kerzen und neues Öl waren die einzigen Investitionen, welche ich zu tätigen hatte. Ich benutzte die Gelegenheit um die Ventile einzustellen und um die Kompression mittels eines ausgeliehenen Gerätes zu testen. Diese bewegte sich im normalen Rahmen und vor allem ohne grosse Differenzen zwischen den einzelnen Zylindern.

Natürlich ist die Spannung gross, wenn nach einer solchen Operation zum ersten Mal wieder der Anlasser gezogen wird. Leider lief der Motor nicht auf Anhieb in alter Frische. Obwohl es mir peinlich ist, werde ich in einem späteren Artikel auf mir zwei unterlaufene Fehler hinweisen, welche sogar zu einem Blechschaden geführt haben, was dann noch völlig unnötige Zusatzinvestitionen verursacht hat. Doch davon – wie gesagt – später. Die eigentliche Reparatur ist aber durchaus gelungen. Der Motor läuft seit diesem Zwischenfall und etwa 400 km absolut reibungslos. Neugierige Leser dürfen die Teilchen, welche bei mir (als Talisman?) im Handschuhfach mitreisen, bei einer persönlichen Begegnung gerne einmal analysieren.

Gerne würde ich nun von meinen Lesern erfahren, was sie von der Geschichte halten, ob jemand schon einmal von so einem Fall gehört hat oder ob es zu den Teilchen noch weitere Erklärungsmöglichkeiten gibt. Über jeden Hinweis freue ich mich, ich werde die Reaktionen bei Gelegenheit zusammenfassen und hier publizieren.

Rudolf Weber