zurück

Das Rätsel von Maurice

Der erfahrene Tractionist neigt dazu, etwas selbstgefällig zu sein. Man hat das Gefühl, fast alles miterlebt, und jedes Teil des Autos in die Hände genommen zu haben. Insbesondere die Mitglieder des Six Motoren Ein- und Ausbauclubs (es gibt in der Welt einige davon…) müssen die Überzeugung haben, dass ihnen keine Geheimnisse mehr verborgen sind. Lager, Zylinder, Vergaser, Zündung, Zylinderkopf, Schmierung, Kühlung sind für mich auf jeden Fall ein Kinderspiel. Hatte ich mir gedacht…

Karel Beukema toe Water

Maurice Sainturat
Bekanntlich wurde der Traction Motor und dessen viele Derivate von einem Ingenieur namens Maurice Sainturat konzipiert. Sainturat war bereits einige Jahre bei Citroën angestellt und wurde 1933 von André Lefebvre in seine Gruppe von Spezialisten geholt. Zu dieser Zeit war das Konzept mit austauschbaren – also leicht ersetzbaren - Zylinderbüchsen revolutionär. Auch Hängende Ventile hatte es bis dahin fast nur bei Hochleistungsmotoren gegeben, nicht bei Triebwerken für Massenprodukte. Sainturat wurde vermutlich nicht vorgegeben, dass seine Produkte für die Ewigkeit konstruiert sein sollten. Das war ein grosser Irrtum, weil André Lefèbvre1 sich doch hätte denken können, dass die Traction fast 80 Jahre später noch immer ein beliebtes Sammelobjekt sein würde! Dass sich die Traction Motoren – dank des Herrn Sainturat - relativ leicht revidieren lassen, weiss fast jeder Traction Besitzer. Die Kosten einer Revision fast jedes anderen Oldtimermotors sind meistens erheblich höher.

1André Lefebvre wurde 1933 als Chef des Bureaud’Études von André Citroën mit der Entwicklung der “PetiteVoiture” (den späteren Traction Avant) beauftragt.

Schmierung Traction Avant 15 Six

Mangelhafte Schmierung
Zurück zur Sache. Schon längere Zeit hatte ich den Eindruck, dass die Schmierung des Kipphebelmechanismus meines 15-H Motors nicht optimal war. An den Kipphebel erschienen zwar Öltröpfchen, aber insbesondere in sehr heissem Zustand produzierte die Chose mehr Lärm als erwünscht. Während unseres Besuches am ICCCR hatte ein Kipphebel zu quietschen angefangen, was meistens auf mangelhafte Schmierung deutet. Das Problem wurde damals durch Übergiessen mit ein wenig Motorenöl behoben, und seitdem habe ich mit dem Auto problemlos mindestens 3.000 km zurückgelegt. Vor kurzem spürte ich bei heissem Wetter und dito Motor erneut Geräusche, die mir nicht gefielen. Jetzt reichte es, und ich musste unbedingt die Ursache finden!

Wie hatte es sich Maurice gedacht…
Beim Traction Motor wird der Kipphebelmechanismus (sowie letzten Endes auch die Ventilführungen selbst) vom Motorblock über eine dünne Leitung mit Schmieröl versorgt. Das Öl wird unter einem gewissen Druck durch eine Bohrung im Zylinderkopf in die hintere Stütze der Kipphebelwelle und anschliessend durch die hohle Welle an die Kipphebel gepumpt. Bei jedem Kipphebel befindet sich in der Welle ein kleines Loch, und das Öl tropft nach Vollendung seiner schmierenden Tätigkeit vom Kipphebel auf den oberen Teil des Zylinderkopfes herunter. In jedem Kipphebel befindet sich oben noch ein kleines Loch, wodurch ein wenig Öl durch eine Rinne im oberen Teil des Kipphebels bis auf den Kontaktpunkt zwischen Kipphebel und Ventil fliesst. Oben auf dem Zylinderkopf bildet sich allmählich ein seichter Öltümpel, der dafür sorgt, dass u.A. die Aussparungen für die Ventilfedern gefüllt werden. Überflüssiges Öl strömt über die Öffnungen der Ventilstössel und die Einfüllöffnung, in die Ölwanne zurück. Während des Laufens des Motors bildet sich im Inneren des Motorblocks bei der Kurbelwelle sowie im Raum unter der Kipphebelkappe ein Ölnebel, der dafür sorgt, dass sämtliche Teile richtig geschmiert werden. Dazu muss es da oben im Zylinderkopf allerdings schon Öl geben!

Schmierung Traction Avant 15 Six

Systematische Analytik
Bei einem solchen Problem kann nur systematisch vorgegangen werden. Die erste Frage ist, ob im Motor genügend Öldruck da ist, auch wenn das Öl sehr heiss ist. Nun habe ich an meinen Autos Messgeräte sowohl für den Öldruck wie auch für die Temperatur. Bekanntlich besteht zwischen den beiden ein gewisses Verhältnis. Es war einfach festzustellen, dass bei Leerlauf mit Öl von 80 Grad (ein normaler Wert wenn der Motor Arbeit leisten muss) der Druck rund 1 bar beträgt. Beim Fahren bewegt sich der Druck, abhängig von der Motordrehzahl, zwischen 2 und 3 bar. Beim Six Motor sind dies ganz normale Werte. Als nächsten Schritt lockerte ich die zwei kleinen Schrauben der Befestigung der Leitung am Zylinderkopf, und liess den Motor kurz drehen. Es floss aus der Leitung sofort Öl herunter, was bedeutete, dass die Ölzufuhr anscheinend in Ordnung war. Dann schraubte ich den gesamten Kipphebelmechanismus ab und zerlegte ihn. Das Ganze besteht aus fast unzählbaren Ringen unterschiedlicher Grösse, aus Büchsen, Federn, Stützen und natürlich den eigentlichen Kipphebeln, die abhängig der Position auch nochmal unterschiedlich sind. Bei der Montage ist es wichtig, dass diese Komponentenin in der richtigen Reihenfolge auf die Welle geschoben werden. Ich wollte die nackte Kipphebelwelle kontrollieren und mit Pressluft durchblasen können, also benutzte ich ein Stück 12 mm Wasserrohr, worauf ich die Teile in der richtigen Reihenfolge aufreihte und beiseite stellte. Die hintere Stütze hatte sich kräftigauf der Welle festgeklemmt, was ich so beliess. “If it ain’t broke, don’t fix it…!” Das Ganze wurde mit Pressluft durchgeblasen, wobei sich kein einziges Hemmnis zeigte. Aus den 12 Löchern trat die Luft unbehindert heraus. Also war der Kipphebelmechanismus selbst nicht Schuld an der schlechten Schmierung und konnte mit neuen Dichtungen (nur die hinterste hat in der Mitte ein drittes Loch für das Öl) wieder montiert werden.

Schmierung Traction Avant 15 Six

Rülpsen
Was also war nun die Ursache meines Schmierungsproblems gewesen? Nach dem Zusammenbau erschienen beim Laufen des Motors zwar einige Öltropfen, ganz überzeugend war es jedoch nicht. Ich entfernte nochmal die Bolzen, mit denen die Ölleitung am Motorblock befestigt ist, stellte ein Becken unter das Auto und liess den Motor nochmal an. Da rülpste es ein- oder zweimal und das Öl strömte kräftig heraus und floss in das Becken unter dem Auto. Nach dem erneuten Festschrauben der Bolzen erschien plötzlich erheblich mehr Öl an den Kipphebeln. War es nun wirklich so, dass sich dort seit etwa 5 Jahren und gut 10.000 km eine Luftblase aufgehalten hatte, die nicht von selbst durch den Öldruck herausgetriebenworden war? Das ist kaum vorstellbar. Ich fuhr eine gute Strecke mit dem Auto, so dass der Motor und das Öl die richtige Betriebstemperatur erreichen konnten (beim Six braucht man dafür mindestens 15-20 km). Nach der Heimkehr stellte ich sofort fest, dass unter dem Kipphebeldeckel lediglich gleichmässiges leichtes Ticken der Ventile hörbar war. Durch die Einfüllöffnung sah ich mit laufendem Motor einen gesunden Ölnebel und nach dem Abnehmen des Deckels war gut zu sehen, dass sich überall auf dem Zylinderkopf richtige Ölmengen gesammelt hatten. Alle bewegten Teile waren vom Ölnebel schön eingeschmiert worden. So, wie es sein soll!

Maurice hat gelacht…
Selbstverständlich muss man immer froh sein wenn sich ein Problem anscheinend von selbst gelöst hat. Es gibt jedoch ein besseres Gefühl wenn man die wirkliche Ursache feststellen konnte. Der gute alte Maurice Sainturat hat wahrscheinlich in einer stillen Ecke mein eifriges Basteln beobachtet und muss leise gelacht haben, jedoch so dass ich eben nicht hören konnte: "Ihr blöden Sammler meines Geisteskindes sollt ja nicht alle meine Geheimnisse kennen …!"