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Es tropft

Helge Torgersen

Jeder Oldtimer-Besitzer ist irgendwie stolz. Dieser Habitus ist nicht selbstverständlich, denn mitnichten lässt immer eigene Leistung ein 50, 60 oder mehr Jahre altes Auto tatsächlich fahren. Oft sind hilfreiche Hände am Werk, die dieses Wunder vollbringen, gegen gutes Geld, versteht sich. Einer tentativen Preisliste in einem jüngsten Bericht der renommierten Zeitschrift „CTAC News“ zufolge, die eine Reportage aus einem Heftchen der „Motor Klassik“ emulierte, verdiene ich mit der Repariererei an meinem eigenen Six weitaus mehr in der Stunde als in meinem bürgerlichen Beruf. Ich kann nur hoffen, dass möglichst viel kaputt geht, um mein Hobby ökonomisch aufrecht erhalten zu können.

Tractionisten sind nach allgemeiner Auffassung typische Oldtimer-Besitzer und daher auch stolz. Manchmal beschleichen mich allerdings Zweifel, wie typisch sie sind, vor allem wenn ich mich – was selten vorkommt – in Gesellschaft von Jaguar-, Mercedes-, Ferrari etc. -Besitzern befinde. Vornehmlich von solchen mit ohne Dach. Aber das führt erstens zu weit und zweitens aufs Glatteis. Dieser Stolz entspringt vielfach der Tatsache, dass die 50, 60 oder mehr Jahre alten Fahrzeuge tatsächlich solche und keine Stehzeuge sind. Man kann sie also bewegen, was voraussetzt, dass ihre Motoren mit den nötigen Schmiermitteln gefüllt sind.

Damit sind ausnahmsweise nicht Franken, Euro, Pfunde oder Dollars gemeint (obwohl deren tribologische Eigenschaften über jeden Verdacht erhaben sind), sondern profanes, wenn auch unlegiertes Öl. Dieses ist flüssig, vor allem wenn erhitzt. Geld hingegen kann sowohl heiß als auch flüssig sein, aber das eine steht mit dem anderen in weniger direktem Zusammenhang. Öl, des Weiteren, hat die Tendenz, zu entweichen. Auch Geld sagt man nach, ein Vogerl zu sein, insbesondere auf Oldtimer-Messen und ähnlichen Veranstaltungen wurden empirisch hohe Volatilitäten festgestellt. Allerdings liegt der Unterschied darin, dass Geld bekanntlich nicht auf der Straße liegt. Öl schon, und damit wären wir beim Stolz.

Ein jeder Oldtimer-Besitzer kennt die Situation: neugieriger Betrachter, mittelalt, leichtes Leuchten in den Augen, Ratlosigkeit auf der Stirn, nähert sich dem Fahrzeug, nur unzureichend in die Gegenrichtung gezogen von einem liebend Weib. Nach etlichen ebenso unwissenden wie quasi-fachmännischen Musterungen über Motorhaube und Innenraum: Äh, ein Mercedes, gel? Oder a Jaguar? So ein Vorkriegs, nicht? Damals hat man ja noch... schön ist der. Dann unvermittelt der Tiefschlag: und was braucht der so? Nach einer Schrecksekunde antwortet man souverän und wie aus der Pistole geschossen: ein Sechszylindercitroenfünfzehnsix von neunzehnhundertneunundvierzig mit Zweikommaneunlitermaschine, der braucht so (flunkerflunker) etwa dreizehnliter und geht andiehundertvierzig.

Ah ja, leicht neidische Blicke. Erstaunlich, gel, was man damals schon ... tja wenn man die heutigen... alle so langweilig, gar nimmer irgendwie, netwahr. Jaja. Bildet man sich das nur ein, oder werden die Augen leicht sehnsüchtig, das liebend Weib jedoch (das wahrscheinlich Übles ahnt) zusehends nervös? Egal, der Besucher wird sanft fort gezogen, aber einmal dreht er sich noch um. Sagen Sie, und kann man so was im normalen Verkehr heute, ich meine, ist das nicht äh, wegen der Umwelt und so? Wieder wirft man sich ins Zeug. Naja, der Verbrauch und die Abgase, aber ordentlich warten, Vergaser einstellen und überhaupt, so viel fährt man nicht, aber man kann so alte Autos schon so hinkriegen, dass sie verlässlich sind und keine Umweltge-...... Man folgt dem wandernden Blick des Besuchers unter die Motorhaube und der Redefluss friert unversehens ein. Unter dem Getriebe schillert fröhlich, zuweilen in allen Farben, aber meist in elegantem Schwarz, ein veritabler Ölfleck.

Man versucht zu retten was zu retten ist. Ja, äh, damals, die Toleranzen, netwahr, die waren halt noch nicht, sieht man ja an den Spaltmaßen, auch die Türen ... Man rudert argumentativ mit beiden Armen in der Luft und fühlt plötzlich das Eis sehr dünn werden; der Klimawandel schlägt unerbittlich zu. Ein letztes: Aber das kriegt man alles in den Griff!! kann das Desaster nicht mehr abwenden.

Täuscht man sich, oder vergeht der sehnsüchtige Blick und macht einem eher geringschätzigem Lächeln Platz? Ach ja, in den Griff kriegen, naja. Hm, und was wenn das ins Grundwasser? Das liebend Weib greift ein, die Sache eskaliert. Und überhaupt, warum steht das Ding nicht im Museum, wo es hingehört? Warum FÄHRT einer damit, aus VERGNÜGEN?? Die Welt versinkt im Abgrund, weil da einige Geldsäcke ihrem VERGNÜGEN...? Der Blick wird unerbittlich. Verbieten sollte man so was! Der mittelalte Herr wendet sich empört ab und rauscht davon. Das liebend Weib wirft noch einen letzten triumphierenden Blick, und man steht da, die Schultern auf Höhe des Gürtels, und trägt die Last des Klimawandels, der Grundwasserkrise und des peak oils. Obendrein hat man unvermittelt sämtliche ölverpesteten Seevögel der letzten dreißig Jahre auf dem Kopf zu balancieren.

Und das alles wegen einer verzogenen Halbschale beim Kurbelwellenaustritt!

Es ist nämlich mitnichten so, dass die Toleranzen damals, und so. Auch damals verlor man ungern Öl, weniger wegen der Seevögel als wegen der Kosten für Ersatz. Citroen konstruierte daher eine Vorrichtung, die Öl, das an der Kurbelwelle entlang kroch, auffangen und überreden sollte, brav wieder ins Kurbelwellengehäuse zurück zu fließen. Heutige Autos machen das mit Simmerringen. Citroen nicht, auch wenn es damals durchaus schon Simmerringe gab. Warum? Fragt jemand bei einer Citroen-Konstuktion allen Ernstes nach dem Warum??

Die Vorrichtung funktionierte trotzdem meistens, hatte aber ein großes Handicap: sie musste nachträglich auf das Gehäuse bei installierter Kurbelwelle aufgesetzt werden. Da diese einen Flansch trägt, der das Schwungrad hält, kann man nicht einfach einen Dichtring über die Welle schieben, sondern muss eine geteilte Vorrichtung erfinden. Das Leid lehrt uns aber, dass alles, was geteilt, auch halb ist. Vermutlich gilt das auch für Dichtungen. Die Halbschalen sind also von Natur aus halbdicht. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Man könnte so eine Vorrichtung ja auch aus einem Material fertigen, das sich nicht verzieht. Das Kurbelwellengehäuse, da aus massivem Stahl, verzieht sich ja auch nicht. Nicht so Citroen: Wenn man die Halbschalen gemäß der Reparaturanleitung mit einer Dichtung dazwischen an das Gehäuse knallt, wird die Dichtung bei den (zu wenigen) Befestigungsschrauben zusammen gequetscht und die Halbschalen werden ebenso uneben wie der ehemals stolze Besitzer, der dann die Bescherung hat.

Man kann die Schrauben anziehen, bis sie abreißen, die Sache wird trotzdem nie dicht, im Gegenteil. Der Grund liegt im Material aus dem die Halbschalen sind. Kein Wunder, denn es heißt angeblich Krappit, das sagt wohl alles. Es ist ähnlich beschaffen wie die weiland Dinkytoy-Modellautos, von denen jeder stolze Oldtimerbesitzer noch eine Handvoll aus seinen Jugendtagen aufgehoben hat. Leider sind meistens die A-,B und sonstigen Säulen keine mehr, sondern das Dach eingedrückt. Genau dasselbe passiert mit den Öldichtringen.

Diesen Misstand bei meinem Six zu beheben haben zahlreiche renommierte helfenden Hände auch gegen gutes Geld nicht zustande gebracht. Vielleicht hatte ich die falschen Hände. Abhilfe habe ich bei unseren englischen Freunden gefunden, in einem Artikel unter der Rubrik „TOCtech“ in der renommierten Zeitschrift „Floating Power“. Die Schwimmende Macht ist das offizielle schwarzweiße Organ des Traction Owners Club und sehr empfehlenswert, auch wenn man sich weniger für die Interna des englischen Clublebens, Geisterschlösser und den Zweiten Weltkrieg interessiert; Themen, die da auch zuweilen vorkommen. Insbesondere der Technik-Teil eröffnet aber immer wieder erstaunliche und praktische Einblicke in die Geheimnisse der Traction.

So eben auch zum Thema Öldichtringe beim Perfo Motor – bei anderen ist die Sache im Prinzip ähnlich, sogar beim HY und frühen DS- und späteren ID-Modellen trifft man auf solche Schalen. TOCtech schreibt: „Perfo-Motoren sind berühmt für ihren Ölverlust beim Schwungrad und bei der Kurbelwelle“ – wofür man in England alles berühmt werden kann! Von einer Traction wird berichtet, die „seven pints in 100 miles“ verlor. Wer jemals eine Pint bestellt hat weiß, dass das ganz ordentlich ist. Die Ursache wird in der Folge dem Krappit zugeschrieben. Die Behebung sei durch Ersatz mittels einer Art Komposit-Simmerring (sic!) möglich, aber nur, wenn man die Kurbelwelle herausnimmt. Das ist angesichts der Preise für helfende Hände bei den meisten Eignern, so stolz sie auch sein mögen, ein eher unbeliebter Gedanke.

Eine andere Lösung ist einfach, billig, praktisch und macht Spaß, ist also englisch. Man braucht lediglich Kupplung und Schwungrad auszubauen, um an die inkriminierten Halbschalen zu gelangen, selbige abzuschrauben und sie aufeinander gelegt gegen das Licht zu halten. Davon werden sie zwar noch nicht dicht, aber man wird die Unebenheiten rund um die Löcher für die Befestigungsschrauben bemerken. TOCtech empfiehlt, diese erst mittels einer groben Feile einzuebnen und dann die Schalen auf einer planen Oberfläche mit Sandpapier zu glätten.

Ich habe mir die Halbschalen anlässlich der letzten Getriebereparatur vorgenommen, weil das Getriebe sowieso heraus musste und man leicht dran kam. Sie erwiesen sich tatsächlich als derart verzogen, dass vor allem an der Unterseite, wo die Auflage an das Kurbelwellengehäuse wegen einer Ölrücklaufnut besonders dünn ist, keinerlei Dichtwirkung mehr zu erwarten gewesen wäre. Diese theoretische mangelnde Erwartung hatte sich in der Praxis vollinhaltlich bewahrheitet, ohne dass ich etwas von der Ursache geahnt hätte. Alle Versuche, den Ölfluss an der Kurbelwelle abzuleiten oder aufzufangen waren kläglich gescheitert. Ich hatte mich zu meiner Schande mit einer Art versteckter Windel in Form von Küchenrollenpapier unter dem Getriebe in der Wiege der Vorderachse beholfen, die ich halt bei jedem Tanken erneuerte. Windel wechseln war jedes Mal sehr peinlich. Peinlicher wäre nur gewesen, bei jedem Parken ein Lackerl zu hinterlassen. Mein Six ist schließlich kein Dackel.

Ich griff allerdings nicht zur Feile, weil mir das dann doch zu brutal war, sondern nahm eine Stahlplatte, die hoch und heilig versprach, plan zu sein, und schliff in kreisenden Bewegungen die beiden Halbschalen so weit ab, dass auf der Auflagefläche ein gleichmäßiger Metallglanz ohne Flecken entstand. Das sollte ordentliche Planung signalisieren. Auch die Stöße, an denen die Schalen sich berühren, behandelte ich so. TOCtech empfiehlt auch, auf eine Papierdichtung zu verzichten und die Halbschalen mit Flüssigdichtmasse an das Kurbelgehäuse zu pappen, woran ich mich ebenfalls hielt. Außerdem solle man zur Befestigung der Halbschalen beim Perfo-Motor 7mm Schrauben mit Beilagscheiben statt der serienmäßigen Bolzen verwenden. Die Verhältnisse beim Six sind ähnlich, aber etwas verzwickter; hier muss man die Köpfe der Sechskantschrauben etwas abflachen und darf keine zu langen verwenden, um die Schalen bei eingebauter Kurbelwelle einigermaßen problemlos montieren zu können, denn der Flansch für das Schwungrad sitzt verflixt knapp.

Befürchtungen, dass mangels Spezialwerkzeug die Zentrierung nicht genau zu treffen wäre, erwiesen sich wieder einmal als unbegründet – mit zwei Schweißzangen an den Stößen zusammengehalten und festgeschraubt, erzielten die beiden geplanten Schalen problemlos die nötige Dichtheit. Laut TOCtech solle man die Zentrierung mittels einer Cola-Dose bewerkstelligen, die zuerst zu leeren und dann zu zerschneiden sei, um einen dünnen Streifen Metall zu erhalten, wie es die Reparaturanleitung befiehlt. Möglicherweise funktioniert es auch mit einer Guinness-Dose. Allerdings erhebt sich da die Frage, ob man diese nicht erst leeren soll, wenn es funktioniert. Sozusagen zur Wiederherstellung des Stolzes.

Es müssen ja nicht gleich seven pints auf hundert miles sein.