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 Ein Autokauf 1936

Rudolf Weber

Vor 75 Jahren war ein Autokauf alles andere als ein Alltagsgeschäft. Autos waren Luxusprodukte aber gleichzeitig unentbehrlich für Transporteure und Vertreter. Es darf als ausserordentlicher Glücksfall bezeichnet werden, dass CTAC-Clubmitglied Flemming Gubler die vollständige Dokumentensammlung über einen Autokauf seines Grossvaters erhalten konnte.

Automobile in der Zwischenkriegszeit

Wir schreiben das Jahr 1936. Zwar hat die Schweiz bereits eine starke Industrialisierung hinter sich. Doch ist sie gleichzeitig noch von Landwirtschaft und Kleingewerbe geprägt. Als Transportmittel gehören Pferdefuhrwerke zum Alltag und für den gewöhnlichen Bürger ist das Velo das gebräuchliche Fortbewegungsmittel, wenn man nicht zu Fuss gehen will. Grössere Strecken legt man natürlich mit der SBB zurück.

Trotzdem sind Autos kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken. Da sieht man Transportfahrzeuge, welche teilweise die Pferdefuhrwerke verdrängt haben. Auch die Armee denkt an eine verstärkte Motorisierung, sind doch die politischen Zeichen beunruhigend. Daneben rollen die meist durch Chauffeure gesteuerten Limousinen der Fabrikdirektoren über die unasphaltierten Strassen und wirbeln grosse Staubwolken auf.

Ein Autokauf drängt sich auf

In Horgen geschäftet die Firma Gnepf & Co recht erfolgreich in Eisenwaren und Werkzeugen. Man vertreibt auch in weiteren Teilen des Landes die Produkte. Doch Eisenwaren sind schwer, womit sich das Velo oder die Bahn für die Vertreter der Firma nicht gut eignen. Ein Chevrolet dient deshalb als geeignetes Hilfsmittel.

Gegen Ende 1935 scheint der Chevrolet aber seinen Anforderungen nicht mehr zu genügen. Hatte er eventuell eine Unfall, dass mitten im Winter ein neues Fahrzeug gesucht wurde? Ernst Gnepf, der Firmeninhaber, nimmt sich persönlich der Aufgabe an, einen neuen Wagen zu beschaffen. Er besucht einige Auto-Vertretungen in Zürich. Aus unserem ersten Dokument geht hervor, dass er aber auch der ortsansässige Firma John Faul, welche seit 1914 bis heute in Horgen eine Yachtwerft betreibt, einen Besuch abstattete. Vor dem Krieg betrieb John Faul ebenfalls einen Autohandel und eröffnete bereits 1914 die erste Automobil-Werkstätte mit Tankstelle am linken Zürichseeufer.

Die Offerte

Am Montag dem 6. Januar 1936 offerierte die Firma John Faul, Automobile und Wasserfahrzeuge, der Firma Genpf & Co. die drei folgenden Fahrzeuge:

Natürlich handelt es sich bei den Pferdestärken um Steuer-PS, war doch 1936 aus einem V8-Motor wesentlich mehr Leistung als 11 PS zu gewinnen. Für uns Tractionisten ist es bedauerlich, dass nicht auch ein Citroën-Fahrzeug offeriert wurde.

Der Chevrolet schien dem Autohändler noch ca. Fr. 1000.- wert zu sein, entsprechend nahm er ihn im Austausch entgegen. Es scheint, dass der Vauxhall in der de Luxe Ausführung Ernst Gnepf am meisten beeindruckt hatte, schrieb doch der Autohändler handschriftlich auf die Offerte, dass man schnell zusagen sollte, weil andere Interessenten bereit stünden. Der altbekannte Verkäufertrick funktionierte offensichtlich schon damals, entschied sich doch der Eisenhändler dann für dieses Fahrzeug.

Typisch schweizerisch wollte man zwar das beste Produkt (de Luxe) aber keinesfalls auffallen. Deshalb wurde gleichzeitig ein Umspritzen in graue Farbe für Fr. 100.- ins Auge gefasst.

Der Offerte wurden noch Prospekte beigelegt, von welchen aber nur noch derjenige von Vauxhall erhalten ist.

Vauxhall DX Touring Coupe

Vauxhall DX. Das Bild entstammt aus den historischen Unterlagen, zeigt jedoch die zweitürige Coupé-Version

Der Kaufvertrag

Bereits zwei Tage später, also am Mittwoch, scheint Ernst Gnepf seinen Kaufentscheide mitgeteilt zu haben und am Dienstag, dem 14. Januar wurde ihm der Verkaufsvertrag zugestellt. Das Begleitschreiben erwähnt einen abweichenden Hinweis "... dass noch das Holzbödeli im Preise inbegriffen sei". Was ist wohl damit gemeint? Auf den Zubehör-Listen moderner Autos figurieren keine Holzbödeli mehr!

Explizit werden Blinker und "Stoplampe" aufgeführt, waren doch damals solche Details nicht obligatorisch. Auch Stossstangen sind aufgelistet (hinten und vorne!). Interessant sind die Zahlungsmodalitäten. Fr. 1800.- wurden bar bezahlt. Für Fr. 200.- konnte die Ernst Gnepf & Co. Gegengeschäfte abschliessen. In Zahlung wurde, wie erwähnt der Chevrolet genommen. Für den Rest wurden Wechsel auf den 30.4.36 und den 30.6.36 ausgestellt, eine damals durchaus üblich Zahlungsweise. Letztendlich fällt der Hinweis auf Nagelschutzfänger auf, welche vom eingetauschten Autos auf den neuen Vauxhall ummontiert wurden. Vor dem Krieg waren solide Schuhe genagelt und verloren natürlich ab und zu eine Schuhnagel, welcher zum grossen Feind der Luftreifen wurde. Nagelschutzfänger streiften solche Nägel ab, bevor sie allzu tief in den Gummi eindringen konnten.

Motorfahrzeugkontrolle

Noch musste das Fahrzeug eingelöst werden. Dies war am 3. Februar der Fall. Dabei konnte auch gleich die Steuer bezahlt werden:

Interessant ist der Vergleich mit heute. Ohne Steuer hat das Einlösen also Fr. 30.50 gekostet. Dies entspricht etwas 0.55 Prozent des Fahrzeugpreises. Ich würde den den Wagen nach heutigem Geldwert auf mindestens Fr. 60'000 schätzen. Somit würde das Einlösen heute Fr. 330.- kosten! Und die Motorfahrzeugsteuer von Fr. 210.- entsprach damals ca. zwei Arbeiter-Monatslöhnen.

Vertrag mit Vertreter

Ernst Gnepf hatte nicht im Sinn, das neuerworbene Auto selbst zu fahren, da er gar keinen Führerausweis besass. Bei Bedarf liess er sich chauffieren. Das Fahrzeug, war wie erwähnt, für den Vertretereinsatz vorgesehen. Nun - wenn man einem Reisevertreter ein so kostbares Objekt zur Verfügung stellt, lohnt es sich, die Rechte und Pflichten vertraglich zu regeln. Auch dazu sind Dokumente erhalten geblieben.

Ein mit Schreibmaschine geschriebenes Dokument stellt einen Vertragsentwurf dar. Es ist mit dem 14. Januar datiert, also am selben Tag, auf den auch der Verkaufsvertrag lautet. Daneben existiert ein handschriftlicher Vertrag ohne Datum zum selben Thema. Da beide Verträge noch keine Unterschriften tragen, weiss man nicht, welcher gültig ist. Vermutlich dürfte das maschinengeschriebene Papier in Kraft getreten sein.

Hier sind aufschlussreiche Passagen zu lesen: "Der Wagen ist jeden zweiten Samstag zum Waschen und Schmieren in die Garage zu geben. Während der Sommermonate April - September besorgt Herr Gygli (der Vertreter) das Waschen jeden zweiten Samstag selbst".

Herr Gygli konnte das Fahrzeug völlig übernehmen. Interessanterweise erwähnt der Vertrag zwar, dass das Fahrzeug im Besitz der Firma Gnepf & Co. bleibt, vermerkt aber "... der Abschluss der Verträge über Versicherung etc. sowie die Ausfertigung sämtlicher Dokumente geschehen auf den Namen Gygli, welcher damit nach aussen als Besitzer des Wagens gilt." Was wollte man wohl mit diesem juristischen Kniff erreichen?

Ganz frei war Herr Gygli allerdings nicht. Am Schluss des Vertrages kommt nämlich noch eine spezielle Klausel: "Für ganz ausnahmsweise Fahrten des Herrn Genpf stellt sich Herr Gygli jederzeit zur Verfügung...".

Trotzdem dürfte sich der Reisevertreter Gygli wie ein kleiner König vorgekommen sein, wenn er mit seinem Vauxhall de Luxe im Jahre 1936 über die Schweizer Kantonsstrassen rollte.

Quellen:

Der CTAC-Revisor Flemming Gubler hat uns die Dokumente für diesen Artikel zur Verfügung gestellt. Sein Grossvater war nämlich Ernst Gnepf! Er hat noch einige persönliche Erinnerungen beigefügt:

Der Grossvater (1885 – 1954) selbst hatte zeitlebens keinen Führerausweis. Bei Bedarf liess er sich u.a. von meinem Vater chauffieren. Das Auto war damals absoluter Luxus und diente vor allem dem Aussendienstmitarbeiter der elterlichen Detail- und Engros-Eisenwarenhandlung für die Reisetätigkeit mit schweren Musterkoffern in der ganzen Schweiz. Damals gab es keine Autobahnen. So liess der Vertreter das Auto mitunter über das Wochenende z.B. im Bernbiet stehen und fuhr mit dem Zug heim nach Horgen. Der handschriftliche Entwurf zum Benutzungsvertrag mit dem Mitarbeiter hat interessante Details.

Von meinen Eltern weiss ich noch über den Vauxhall, dass meine Mutter bei Regen den Schirm im Auto aufspannen musste und der Vater im Winter immer ein Fläschli Aether bei sich hatte, da der kalte Motor nicht anspringfreudig war.

Einzig der Verkaufsvertrag fehlte in den Familiendokumenten. Der Zufall will es, dass Flemming Gubler heute bei der Firma Faul AG arbeitet und somit zum Firmenarchiv, welches Dokumente der letzten 100 Jahre noch immer aufbewahrt, Zugang hatte. So liess sich dort auch eine Offerte und ein Kaufvertrag vom 6. Januar 1936 an einen gewissen Herrn Ernst Gnepf finden.

Es lohnt sich, die beiliegenden Originaldokumente zu lesen, enthalten sie doch noch viel Interessantes, welches uns zeigt, wie vor 75 Jahren ein Autokauf abgewickelt wurde.

Dokument1

Dokument 2

Dokument 3

Auf der Homepage der Firma Faul AG ist auch eine Seite der Firmengeschichte gewidmet.