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Berichte

Eine Begegnung der besonderen Art
Ausfahrt mit Bewohnerinnen und Bewohnern des "Rössli Hü", Sonntag 6. Mai 2001
 von: Caspar Türler


Nachdem es im März und April praktisch ununterbrochen geregnet hatte, verspürte ich wenig Lust, mich am schneestiebenden Weisssonntag mit meiner erst halb eingefahrenen Zitrone ans Nordtreffen zu begeben. Ich war deshalb froh, dass die Temperaturen anfangs Mai doch wieder über zehn Grad stiegen... denn es war eine spezielle Ausfahrt Gleichgesinnter angesagt!

Den Anstoss dazu brachte Daniel Löhrer an der Januar-GV ein. Er suchte Traction-Chauffeure für eine "Bluestfahrt" mit behinderten Jugendlichen. Ich war sofort begeistert von der Idee, denn ich stellte mir vor, Mitmenschen, denen vielleicht nicht so viele Möglichkeiten zur Abwechslung gegeben sind, damit eine Freude machen zu können. Zudem liess sich damit das Angenehme (die Erkundung einer mir unbekannten Region und das Knüpfen neuer Kontakte) mit dem Nützlichen (Kilometersammlung für den ersten Service am neuen Motor) verbinden.

Da Christoph und Denise Platzer sowie meine Wenigkeit aus den Regionen Basel bzw. Zürich etwas weiter als die meisten anreisten, luden Daniel und Trudi Löhrer uns freundlicherweise zu sich zum Mittagessen vor der Ausfahrt ein. Ich nahm dankend an und machte mich am Sonntagmorgen gegen neun Uhr auf die Querfeldeinstrecke über Land: Sihltal, Muri, Beromünser, Sursee.
Das bekannte Grosswangen für einmal links liegen lassend, befuhr ich weiter westlich Neuland, das sich in Form des Ohmstals als unerwartet romantisch herausstellte. Am Schluss des Talanstieges ging es - natürlich - "änne wieder abe", und der reizvolle Blick auf die sanften Kehren hinunter nach Altbüron riefen förmlich nach einem Kamerahalt:

Sicht auf Altbüron

Von dort war es nicht mehr weit nach Langenthal, wo uns unsere Gastgeber und Initianten schon erwarteten. Das vorzügliche Mittagessen und die angeregten Gespräche liessen mir kaum Zeit, Danis diverse Modellautos richtig zu bestaunen - allerdings tat es auch mal gut, dass nicht die Tractions im Mittelpunkt standen, sondern nur Mittel zu einem guten Zweck waren.

Um 13 Uhr fanden wir uns in Seeberg zum Treff mit sechs weiteren Tractionisten-Kollegen aus dem Bernbiet ein, von denen ich viele wenn ja, dann nur von Artikeln im Heft oder aus der Web-Galerie kannte. Natürlich ging es doch nicht ganz ohne gegenseitige Beschnupperung und Bestaunung unserer Prachtsfahrzeuge...

am Treffpunkt in Seeberg

Nach kurzer Wegbesprechung durch Fahrtleiterin Trudi ging's weiter ins Nachbardorf Grasswil, wo die Bewohner des Heims "Rössli Hü" schon freudig erregt die Einfahrt der acht langen, schwarzen Limousinen erwarteten. So etwas gibt es ja sonst nur bei einem Staatsempfang!


Temporärer Taxistand vor dem "Rössli Hü" in Grasswil

Trudi und Daniel, deren Tochter zur Zeit in diesem Heim ein Betreuungs-Praktikum absolviert, machten uns mit den Fahrgästen bekannt und teilten sie uns zu. Der am Down-Syndrom leidende Mändi stieg mit Trudi bei mir ein und als Kopf des Trosses setzten wir uns in Bewegung.
Entlanger knallgelber Rapsfelder, schneeweisser Apfelbäume und saftiggrüner Wiesen ging es vorbei an bodenständigen Höfen und durch abgelegene Täler, über Wynigen und hinauf nach Oeschenbach. Im Rückspiegel achtete ich stets darauf, dass mir die muntere Kollonne folgen konnte und ich meinen Rössli nicht zu sehr die Sporen gab. Rückwärtige Fotos konnte ich am Steuer leider nicht machen, doch es war schon ein besonderes "Luege".

Mändi, der sich anfangs noch etwas nervös die Finger gerieben hatte, entspannte sich und legte nach einer Weile den Kopf auf die Rücklehne, schloss die Augen halb und lächelte zufrieden vor sich hin.

Mändi und seine Betreuerin

Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt kehrten wir alle im Restaurant Rössli Lotzwil ein, wo uns unsere Gastgeber mit spendiertem Kaffee und Kuchen verwöhnten!
Der im Gegensatz zu Mändi sehr gesprächige Dominique gesellte sich an unseren Tisch und erzählte mir, er sei Feuerwehr- Kommandant und müsse ab und zu löschen gehen, dazu den Feuerwehrhelm und den Feuerwehrmantel mit dem Feuerwehrgurt anziehen... ich hörte nickend zu und versuchte ihm ein paar Fragen zu stellen, um herauszufinden, was er im Heim wirklich tat... doch das war gar nicht so einfach. Ich beschloss, das Spiel mitzuspielen und stattdessen etwas über seine Träume zu erfahren.
Ich konnte mir nur vorstellen, dass er einmal Feuerwehrleuten bei einem Einsatz zugesehen hatte und ihre gesellschaftliche Anerkennung spürte, was er in unserer Runde auch gerne für sich beanspruchte. Es war nur natürlich, dass er dazugehören und geschätzt werden wollte - wer möchte das nicht, und wer hat nicht schon etwas dick aufgetragen?

der freudestrahlende Dominique

Auch wenn unsere Diskussion streckenweise komische Wege nahm oder keinen Sinn zu machen schien, Dominique und ich verstanden uns. Er hatte einen Zuhörer für seine Geschichten, und ich profitierte von einer Begegnung der fantasievollen und besonderen Art, die mich ganz schön herausforderte und mich über mich selbst nachdenken liess.
Wer oder was gibt uns z.B. das Recht, zwischen "normal" und "anders" oder gar "behindert" zu unterscheiden? Wahrscheinlich ist das nur eine ängstliche Abwehrhaltung gegen Weltanschauungen und Äusserungsformen, die nicht ins bekannte Schema passen. Doch Angst aus Unkenntnis kann man nur mit Begegnung abbauen.

Wahrscheinlich hat jeder einen Tick, auf seine Weise. Wenn man es so sehen will, haben auch wir Tractionisten "einen Ecken ab", uns mit relativ unsicheren, alten Autos in den modernen Strassenverkehr zu begeben. Ist hier nicht die Liebe zur Antiquität grösser als die Vernunft? Natürlich fand ich an diesem Nachmittag keine abschliessende Antwort auf alle diese Fragen. Doch allein schon das Nachdenken über andere Realitäten förderte meiner Ansicht nach das gegenseitige Vertändnis.

Trudi, Dominique und Daniel

Viel zu schnell war unsere Begegnung vorüber und wir begaben uns auf den Heimweg, nicht ohne vorher noch ein paar Abschiedsfotos zu schiessen. Ich glaube, allen Beteiligten sieht man die Freude am gemeinsamen Erlebnis an!

das hat Spass gemacht!


Diese Ausfahrt hat mir ausserordentlich gut gefallen. Ich möchte darum den Intitanten Trudi und Daniel Löhrer, unseren Gästen und ihren Betreuern nochmals herzlich danken. Ich freue mich schon auf die nächste gemeinsame Ausfahrt!