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Die originale Traction, der Ochsenkarren

Ein weiterer Beitrag zur Originalitätsdiskussion. Weitere Artikel zu diesem Thema findet man hier:

Uwe Baumstark

Neulich, als ich mit meinem modernen, computergesteuerten, technikbewehrten PKW in Zentralfrankreich, mitten auf dem Land, weit und breit keine Menschenseele, bei einem Frühlingsregen eine Panne hatte, suchte ich in der Dämmerung in einer verlassenen Feldscheune Zuflucht und Schutz vor den Unbilden des Wetters. Und weil es schon spät am Tag war schlief ich, müde von der langen Reise, im duftenden Heu ein.

Als mich am nächsten Morgen die Sonnenstrahlen durch die Bretterritzen weckten und ich meinen Weg zum nächsten Dorf fortsetzen wollte, stand außer einem Haufen Gerümpel auch einer dieser alten französischen Wagen in der Scheune, völlig verstaubt, teils mit Heu bedeckt in einer Ecke …

Soweit zum Fund. Jetzt lasse ich die Details über den Eigentümer weg, sonst dauert es so lange:

… wir waren uns bald einig und der Alte, kramte die Zündschlüssel hervor. Er erklärte mir sein Fahrzeug und schwelgte in alten Abenteuern – er und seine Traction. Leider war er fast blind und durfte deshalb das Fahrzeug nicht mehr bewegen. Er meinte es stünde nun schon mindestes 50 Jahre hier, ein Schluck Benzin war auch noch im Tank und als ich den Tankdeckel öffnete, kam mir dieser typische „Barriqueduft“ von altem Benzin in die Nase. Mit der Handpumpe, die der Alte mitgebracht hatte, presste ich im Schweiße meines Angesichts die frische, französische Landluft in die alten Michelin-Pneus. Freilich war auch die Batterie platt – aber mit den geübten Griffen des Alten, ein wenig Spätzündung und ein paar ordentlichen Schwüngen mit der Handkurbel wurde die alte Vorkriegsmaschine wieder zum Leben erweckt.

Schnell noch die Hühner aus dem Kofferraum verscheucht, die Frontscheibe gewischt und los ging es, mit kaltem Motor und ungewohnter Schaltung erst noch ein wenig holprig aber mit zunehmender Motortemperatur nuckelte die alte Maschine wieder über die Straßen. Mittlerweile mutiger stellte ich fest, dass die Alte förmlich auf der Straße klebte – wie gut, dass mein ESP-, ABS-, Airbag-Fahrzeug den Geist aufgegeben hatte und mich die göttliche Fügung diese wunderbare Maschine finden ließ…

Soweit zur Geschichte der originalen Traction, sie lässt sich beliebig wandeln, erhöhen, die Markennamen austauschen und an den Zuhörer anpassen. Was wichtig an dieser Geschichte ist, sind die Tatsachen, dass das Fahrzeug ein „Scheunenfund“ sein muß und selbstverständlich im Originalzustand, unrestauriert, auch heute noch seinen Dienst besser tut als alle neuen Fahrzeuge zusammen, keine Arbeit macht, fast nichts kostet, sich alle anderen Verkehrsteilnehmer nur freuen wenn sie es sehen und von ihm aufgehalten werden und obendrein der Wert ständig steigt – besser als jede Aktie. Das Sahnehäubchen bekommt die Geschichte dann, wenn nicht nur das Fahrzeug stimmt sondern auch noch die Papiere glänzen – also zum Beispiel von General de Gaule gezeichnet wurden und eine Permission zum Parken auf Gehwegen, im Halteverbot und zum Befahren von Einbahnstraßen enthält, weil der ehemalige Eigentümer der Schwager des Regierungschefs war.

So ähnlich (mindestens) fing auch meine Geschichte mit der Traction an, allerdings wollte das verfluchte, alte Miststück nicht fahren, und ich habe jede Menge Zeit und Arbeit in der Werkstatt verbracht, so dass ich, wenn ich die Zeit rechne, die bislang gefahrenen Kilometer leichter zu Fuß hätte zurücklegen können oder wenn ich die Ausgaben betrachte, mir billiger ein Taxi genommen hätte oder einen Hubschrauber. Auch bin ich für andere ständig zu langsam, sie hat den Wendekreis eines Sattelschleppers, den Antritt eines Ochsenfuhrwerks, das Gewicht eines Panzers, säuft wie ein Loch im Vergleich zu den Fahrleistungen, das Radio brummt und plärrt, das Getriebe will gelegentlich ein Zwischengas spüren, der Motor jault bei höheren Drehzahlen wie eine Flugzeugturbine und weil ich so groß bin, habe ich auch nicht so richtig Platz hinterm Lenkrad wie ich das von meinem neuen Fahrzeug gewöhnt bin – ich liebe meine Traction.

Und sie ist original, bis auf den rostfreien Auspuff, die elektronische Zündung, die Batterie, die neuen Reifen, die Kolben, die Pleuel …

Womit wir endlich beim Thema sind: Was ist Original?

Das Adjektiv original bedeutet im Lateinischen etwa soviel wie – ursprünglich, echt, eigen.

Als Substantiv könnte man es mit Urbild oder auch als eigenartigen Menschen übersetzen.

In der deutschen Automobilzeitschrift „Auto Motor Sport“ wird zurzeit ein Hochpreisklassiker als „…Special der zum Original heranreift …“ von einem namhaften Händler klassischer Automobile feil geboten – unglaubliche, kreative Wortschöpfungen.

All diese Bedingungen erfüllen auch die Hot Rods, die Umbauten auf Doppelachser, die Metalliclackierten, die Verbreiterten und so weiter, wie sie auch auf der Internetseite der eidgenössischen Tractionisten zu bewundern sind, denn sie sind echt – es wird doch nicht nur ein Trugbild sein – sie sind eigen, denn sie wurden von eigenartigen Menschen umgebaut und es handelt sich um Spezialfahrzeuge, die zum Original heranreifen …

Das originale Fahrzeug, so wie es von André Citroën oder seinen Mitarbeitern aus den Pariser Hallen entlassen wurde, gibt es heut nicht mehr und selbst wenn man es fände, so führe es nicht mehr, es bräuchte mehr oder weniger wieder die Hand des Meisters und es bräuchte Ersatzteile. Diese Ersatzteile sind gewöhnlich besser als früher, die Werkstoffe haben sich gewandelt, die Technik ist nicht stehen geblieben. Und gesetzt den Fall der Meister hat NOS-Teile (new old stock) verbaut, so hat er mit Sicherheit beim Schweißen auf sein originales Acetylen-Sauerstoff-Schweißverfahren (selbstverständlich mit Karbid angerührt) gerne verzichtet. Ja und wie steht es mit den Werkzeugen mit denen repariert wurde und der Farbe und den Werkzeugen und der Gesinnung des Meisters …

Das Original ist eine Lüge im besten Sinne des Wortes, wir leben und lieben unsere Lügen, wir erkennen sie oft selbst nicht, denn wir halten sie für die Wahrheit und damit werden sie zur Wahrheit – so wie das vom Alten am Leben erhaltene Fahrzeug – selbstverständlich nicht mit Originalersatzteilen – denn nach dem Krieg war alles original was man bekommen konnte und das heute als Originalfahrzeug bestaunt wird. Auch heute befinden wir uns zum Glück nach dem Krieg…

Heute restauriert der gewissenhafte Enthusiast selbstverständlich mit Originalersatzteilen, die er für teuer Geld beim Hersteller gekauft hat – hoffentlich sieht er sich die Verpackung nicht näher an, vielleicht steht es ja auch gar nicht drauf: Merkedes – Made in Korea …

Meine Pleuel und Kolben kommen aus England, zumindest der Verpackung nach – wie sollen die sich denn mit dem französischen Rest verstehen?

Der Restaurator ist ein Illusionator, der die Fuhre in Abhängigkeit des Ausgangsmaterials möglichst wieder in einen original aussehenden Zustand zurückversetzt, so dass das restaurierte Fahrzeug mindestens seine ursprünglichen Gebrauchseigenschaften auf der einen Seite wieder in vollem Umfang zurückerhält und auf der anderen Seite der Unwissende dies nicht wahrnimmt. Für denjenigen, der das Fahrzeug – oder allgemein den Gegenstand – nicht kennt, ist die gute Arbeit des Restaurators nicht sichtbar. Der Restaurator ist die magische Hand, die die Zeit soweit zurückdrehen kann, wie es sich der Auftraggeber vorstellt, ohne dass er sich dessen bewusst sein muß. Der Restaurator baut nicht nur wieder neue Kompression ein, sondern er baut eine Phantasiewelt auf, die es so nie gegeben hat, von der aber jeder überzeugt ist, dass es genauso gewesen ist und niemand daran gedreht hat.

Ich will mich jetzt nicht auch noch dem Thema der Patina widmen – dem alten Dreck, an dem ich mir ständig die Hände schmutzig mache, wenn ich an meinem originalen Fahrzeug schraube.

Was hier aber vielleicht noch hilfreich ist, das sind die Tipps, wie man möglichst gut lügt, das heißt wie behandle ich mein Fahrzeug, damit es möglichst original aussieht und die Patina, den alten Dreck, behält und dennoch im Rahmen seiner Möglichkeiten weiter ordnungsgemäß funktioniert.

Hier kommen in loser Reihenfolge noch ein paar Tipps zum originalen Erhalt der alten Karre. Vielleicht kann diese Liste ja noch von dem einen oder anderen Tractionisten sinnvoll ergänzt und erweitert werden. Interessant wäre ein Beitrag wie man alten abgewetzten Lack erzeugt – vermutlich einfach durch Benutzen.

1. Tipp zu den hinteren, verkitteten Fenstern der Traction:

Leider waren die hinteren, verkitteten Fenster meiner Traction undicht, denn der Kitt wurde mit den Jahren spröde. Ich habe mir gedacht, dass ich es einfach mal mit dem originalen Weichmacher versuche und habe die Kittfugen mehrmals mit Leinoel eingestrichen, den Überstand abgewischt und gewartet bis das Leinoel in den Ritzen verschwunden und getrocknet ist – das kann daueren, deshalb ist es sinnvoll man mach das vor dem Winter und hat dann den Sommer über ein dichtes Fenster – außerdem sieht das originaler aus als Silikonfugen. Bei porösen Gummidichtungen hilft nichts mehr – außer durch Neuteile ersetzen.

2. Tipp zum Schutz von Hohlräumen:

Nachdem ich jahrelang alles Mögliche ausprobiert und auch den Hersteller der originalen Fahrzeughohlraumwachse ausfindig gemacht und benutzt habe, bin ich aus verschiedenen Gründen – unter anderem weil es sich nicht um neue Fahrzeuge handelt - davon wieder abgekommen. Ich sprühe die trockenen, unbehandelten Hohlräume mit „Fluid Film“ mit einer Hohlraumpistole (Druckbecher, 10 bar) und einer Sonde aus, bis die Brühe aus den Ritzen abtropft. Vorteilhaft ist es, wenn man dabei die Innenausstattung und die Türverkleidungen ausgebaut hat. Die Kapillarwirkung sorgt dafür, dass es in feinste Ritzen eindringt und dort auch bleibt. Es handelt sich um ein Lanolinprodukt – also umweltfreundlich – was im Schiffsbau die Ballasttanks vor Rost schützt und seit Jahrtausenden bei den Schafen (Wollfett) die Nässe fern hält – bei den Schafen und im Schiffsbau hat es bisher vorzüglich funktioniert.

3. Tipp zum Schutz der Fahrzeugunterseite:

Im Sommer, wenn es schön trocken und warm ist, lässt sich die saubere, trockene Fahrzeugunterseite (Hochdruckreiniger, Arbeit, Sauerei), mit „Permafilm transparent“ mit einem breiten Pinsel streichen. Dies ergibt einen wachsartigen, transparenten, robusten Korrosionsschutzüberzug. Bei der Motorüberholung habe ich damit auch bei ausgebauter Maschine den Motorraum, teilweise behandelt. Außerdem habe ich die Kotflügel (was für ein Scheißwort) innen, und im abgebauten Zustand an den Falzen der Anbauflächen behandelt. Beide Produkte findet Ihr vom Unternehmen HODT (www.fluidfilm.de).

4. Tipp zum Schutz der Stoßstangen und Radkappen, Lack:

Die Innenseite der Chromteile entrosten, grundieren, mit dem Pinsel silbern streichen.

An der Außenseite die groben Roststellen mit der Messingbürste entrosten und mit Chrompolitur und Wachs vor weiterem Zerfall schützen. Oel schützt prinzipiell auch, zieht aber den Dreck magisch an, wenn es dennoch Oel als Korrosionsschutz sein soll, dann säurefrei (z. B. „Fluidfilm) – moderne abtrocknende Produkte sind meiner Meinung nach besser – gar nichts halte ich von solchen „Geheimmitteln“ wie Petroleum oder Diesel auf Lack – das ist nur im brutalen Speditionsbetrieb billig. Im Grunde genommen ist es aber technisch nur wichtig, dass die Feuchtigkeit ferngehalten und die Oberfläche nicht auch noch durch unnötige Säuren korrodiert wird. Es hilft natürlich wenn das Fahrzeug trocken und gelüftet steht.

Den originalen, ersten Lack meiner alten Traction wurde erhalten, indem ich die Fehlstellen mit dem Pinsel ausgebessert habe. Der Kofferdeckel erhielt eine Pinsellackierung. Der Rest der Lackierung wurde einmal vom Fachmann gereinigt und poliert und wird jetzt einfach hin und wieder mit Wachs geschützt. Der Fachmann wollte zwar gleich neu lackieren aber ich finde das alte Zeug lügt schöner und neuer Lack fährt auch nicht besser.

5. Tipp Innenleben, Technik:

Bester Maschinenbau ist gerade gut genug wenn man auch damit fahren will, es muß nichts umgebaut und umgerüstet werden, die alte Mechanik funktioniert, wenn man die verschlissenen Teile ausbaut und durch neue ersetzt, am besten genau so wie es mal war. Auch die alte 6Volt Elektrik reicht und treibt auch noch ein Radio an, wenn man nicht Tag und Nacht mit Licht fährt und eine Minibar mit Kühlschrank eingebaut hat (dies soll kein Aufruf zu verkehrswidrigem Verhalten sein!). Man sieht zwar nichts mit den originalen 6V Scheinwerfern – manchmal ist das aber auch besser so. Nachts schläft man bei seiner Frau und fährt nicht mit einer Traction durch die Gegend! Wer es dennoch nicht lassen kann: Daniel Eberli hat das richtige Verhütungsmittel – ich denke der Umbau den er beschrieben hat ist wirksam und optisch originalverträglich.

Die Batterie ist stets startbereit wenn man einen „automatischen Batteriequäler“ anschließt, der die Batterie automatisch lädt und entlädt. Wenn dazu der Flüssigkeitsstand stimmt, hält damit eine Batterie nach meinen Erfahrungen etwa 50% länger als ohne ein solches Ladegerät. Ich habe einen herkömmlichen Bleiakku, der inzwischen 6 Jahre alt ist und immer noch tadellos seinen Dienst absolviert, obwohl das Fahrzeug wenig bewegt wird.

Und wenn sie den Patienten unvermeidlich dann doch schon mal aufgeschnitten haben, ersetzen Sie im Zweifel auch mal eine Herzklappe mehr, das ist billiger als ständig auf und zu und ist weniger frustrierend – keine Kompromisse bei der Technik, keine Halbheiten bei den Bremsen. Kurzstrecken mit dem Velo oder zu Fuß zurücklegen hält den Fahrer jung und die Maschine frisch. Ein häufiger Oelwechsel ist billiger als eine Herztransplantation – ersetzt diese aber leider nicht wenn es nötig wird. Wenn die Kompression verloren ist, müssen Sie neue einbauen! Das macht keinen Spaß bei einem Sechszylinder, der so schwer ist wie ein Ochse (und genauso träge) – muß aber manchmal gemacht werden. Halten Sie die Wartungsintervalle ein.

In Deutschland bin ich bisher mit „L’attraction“ mit Jürgen und Marion Czajkowski stets gut beraten und mit Ersatzteilen versorgt worden – empfehlenswert.

6. Tipp Innenausstattung:

Polster ausbauen und zur Polsterreinigung bringen. Himmel eingebaut lassen und mit Polsterreiniger reinigen und vom Zigarrenrauch befreien, Löcher mit Nadel und Faden stopfen, vielleicht können Sie ihre Frau mit in die Restauration einbeziehen. Bei der Ausführung arbeitet man notgedrungen stets an der Decke, vereinbaren Sie vorher einen Termin beim Physiotherapeuten - wegen der unausweichlichen Genickstarre.

7. Tipp grundsätzlich:

Fahren ist der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Fahrzuges. Wasser ist nicht dramatisch, wenn das Fahrzeug abtrocknen und lüften kann. Im Winter, bei Schnee und Eis mache ich davon jedoch keinen Gebrauch - nicht weil ich friere, sondern weil André damals noch nicht wußte, dass man dazu heute jede Menge Salz braucht.

Salzbrühe als Elektrolyt in den Ritzen ist das Todesurteil des ungeschützten Bleches– selbst wenn das Fahrzeug anschließend gewaschen wird, die Salzbrühe ist bereits in den Ritzen und dort kommt sie nicht wieder raus, das Wasser verdunstet zwar mit der Zeit aber das Salz bleibt zurück, ist hygroskopisch, zieht also die Feuchtigkeit aus der Luft magisch an und wird spätestens beim nächsten Regen wieder aktiv.

Bemerkungen des Webmasters:

Natürlich können heute nachgefertigte Ersatzteile qualitativ besser sein als Originale. Die heutigen Fertigungsverfahren erlauben weit bessere Materialqualität und präzisere Fertigung. Leider tummeln sich aber im Ersatzteilbusiness auch viele Anbieter, welche mit minderwertigen Kopie das rasche Geld machen wollen. Beim Kauf neu gefertigter Ersatzteile ist somit mit der nötigen Sorgfalt vorzugehen. Beispielsweise brach mir letzten Herbst das Lenkrad entzwei, welches ich vor drei Jahren als neuproduziertes Ersatzteil erstanden habe!