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Sacré chien!
oder:
Sachzwänge

Von Daniel Eberli

Sacré chien! (Heiliger Hund) möchte man ausrufen, wenn man die folgende Geschichte hört. Ich kann Euch jedoch versichern, dass sie sich tatsächlich so zugetragen hat. Aber fangen wir doch am Anfang an und blenden wir ein Vierteljahrhundert zurück:

Unser Held - oder müsste man vielleicht eher "Opfer" sagen? - befand sich damals im blühenden Sturm- und Drang-Alter. Er war Realist, lebte vergleichsweise bescheiden - und nichts deutete darauf hin, dass sich dies einmal ändern sollte. Natürlich gab es Dinge von denen er träumte: Zum Beispiel eine Traction, aber nur ein Elfer, kein Fünfzehner, und schon gar nicht ein Cabriolet. Es gab Dinge, von denen er höchstens bei Tag geträumt hatte, sie zu besitzen (zum Beispiel Claudia Schifferer, aber die kannte man damals noch nicht, und heute ist sie eh' nur etwas für Zauberer!), und es gab Dinge, von denen es ihm nicht im Traum eingefallen wäre, davon zu träumen. Hier könnte man zum Beispiel einen Hund aufführen, denn als Sohn eines Posthalters hatte er langjährige Erfahrungen (und nicht nur die besten!) im Umgang mit Hunden.

Nun, Träume machen nur Spass, wenn man hin und wieder einen davon realisieren kann, und so erstand sich die Hauptfigur unserer Geschichte 1975 einen Köfferli-Légère, welchen er liebevoll restaurierte um fortan bei passender und unpassender Gelegenheit damit herumzukurven. Einige Zeit später heiratete er, kaufte ein Haus, dann kamen zwei Kinder. - Eine ganz normale Geschichte eben, und nicht besonders erwähnenswert. Verschiedene Autos wechselten den Platz in der Garage, aber die Traction blieb.

Die Geschichte entwickelte sich so subtil, dass wohl auch der geneigte Leser keine Chance gehabt hätte, sie rechtzeitig in den Griff zu bekommen und die drohenden Veränderungen abzuwenden. - Obwohl sie sich ja, wie wir eben gelesen haben, bereits vor beinahe 25 Jahren angebahnt haben... Aber verfolgen wir den Verlauf dieser Story weiter:

Kaum dem Kinderwagen entwachsen, schwärmte die Tochter - das jüngere der beiden Kinder - für Pferde und für Hunde. Stoisch, patriarchalisch und mit allen Argumenten der Vernunft wehrte sich unsere Hauptfigur erfolgreich gegen ein solches Tier der einen oder der anderen Gattung. Das Unheil jedoch fand schliesslich den Umweg gewissermassen durch die Hintertüre, indem ein Freund (Zwar ebenfalls ein Traction-Besitzer, aber ob man in Kenntnis der Geschichte, wie sie sich von da an entwickelte, noch von einem Freund sprechen kann, ist eine gute Frage!) - also, indem ein Freund Vater wurde, die Schwangerschaft seiner Partnerin aber schwierig war. Um sie zu entlasten, willigte man ein, den einen seiner beiden Hunde für zwei, drei Monate in Pflege zu nehmen.

Dem geneigten Leser wird spätestens jetzt klar sein, in welche Richtung die Geschichte weitergehen wird. Kaum jemand aber wird sich vorstellen können, welches Ausmass sie bis heute angenommen hat! Aber fahren wir fort: Kaum war das Baby zur Welt gekommen, - Mutter und Tochter weilten noch im Spital - wurde der Freund von einem Hundezüchter angefragt, ob er nicht für kurze Zeit einen Polizeihund übernehmen könne, weil der Besitzer mit angeschlagener Gesundheit ins Spital musste. Der Freund konnte nicht "Nein" sagen, und so gesellte sich der Polizeihund zu seinem anderen Hund. Leider verstarb der erkrankte Besitzer, und der Polizeihund verlor somit seinen Meister. Der Hundezüchter konnte das Tier, welches in falschen Händen eine Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt hätte, nicht einfach jemandem weitergeben. Somit stellte sich die Frage, ob der Freund das Tier für immer übernehmen könne. Andernfalls müsse man es abtun. Solches konnte selbstverständlich niemand öbers Herz bringen.

Drei Hunde und ein Baby waren nun definitiv zu viel fär den Freund und seine Partnerin, und unsere Hauptfigur konnte natürlich keine stichhaltigen Argumente gegen das Tier mehr vorbringen, nachdem es bereits mehrere Wochen im Haushalt gelebt hatte. Kurz: Der Hund blieb. Zwei Kinder und ein Hund - und es ist kein kleiner - in einem Légère - das ist - Köfferli hin oder her - bereits eine ganze Menge. Aber es sollte noch schlimmer kommen...

Der grösste Wunsch der Gemahlin unserer Hauptfigur war schon seit langem eine eigene Drehorgel. Aus Anlass des vierzigsten Geburtstages sollte dieser Traum verwirklicht werden. Nur eine kleine sollte es sein, aber immerhin: eine eigene Drehorgel! Nach einiger Suche stellte man fest, dass gleich im Nachbardorf ein Orgelbauer lebte. - Ein Holländer, der Kirchenorgeln baute und restaurierte. Auf Anfrage teilte er mit, er hätte noch nie eine Drehorgel gebaut, aber er hätte dies schon lange gerne einmal gemacht. Nun waren die Zeiten für Kirchenorgeln ohnehin schlecht, und eine Bestellung wäre für ihn Anlass, gleich drei Drehorgeln herzustellen: Eine für den Besteller, eine für ihn als Erbauer und eine für einen weiteren, noch unbekannten Käufer. Er hatte jedoch seine eigenen Vorstellungen über die Grösse des Gerätes, aber weil es ja sein Prototyp sein würde, war er zu Konzessionen bezüglich des Preises bereit. So willigte man schliesslich ein: Wann bekommt man schon eine Orgel, die dreimal so gross ist, wie die, welche man sich wünschte, zu einem Preis der doppelt so hoch ist, wie der Betrag, welchen man ausgeben wollte?

Zwei Erwachsene, zwei Kinder, eine grosse Drehorgel und ein Hund sind nun definitiv zu viel für einen Légère, da hilft auch das Köfferli nichts. Nun besteht natürlich die Möglichkeit, das Eine oder das Andere zu Hause zu lassen, und genau das fasste der Held unserer Geschichte auch ins Auge. Bis - ja, bis er in der Weihnachtszeit im Clubheft des Clubs 34/57 ein Inserat von einem 15/six Familiale las. Was da stand, liess auf einen guten Zustand und einen angemessenen Preis schliessen...

Du darfst nicht, Du musst vernünftig sein!" sagte er sich, und rief die angegebene Telefonnummer gar nicht erst an. Das Schicksal kann aber manchmal unerbittlich sein: In der Frühlingsnummer erschien das Inserat nochmals. Zufälligerweise bekam er in der gleichen Zeit einen Anruf, dass jemand einen 11-er Familiale bei einem Bauern entdeckt hatte und Informationen über das Auto haben wollte. - Eigentlich war dieser Jemand jedoch mehr an einem kleineren Auto interessiert... "Wenn ich mein Auto verkaufen könnte, dann wäre die Idee wohl nicht mehr so daneben..." sagte sich unsere Titelfigur und rief den Besitzer des 15/six Familiale an, nicht ohne vorher Fachbücher konsultiert und die Garage vermessen zu haben, schliesslich war das Objekt für die einen eine Limousine, für die Anderen die längste Traction der Welt.

Der Rest ist schnell erzählt. Das Auto wurde mit einem Six-Spezialisten besichtigt. Die Gemahlin hätte es gleich mit nach Hause genommen, aber unser Held zeigte sich vernünftig und rief erst fünf Tage später nochmals an. Am nächsten Treffen tauchte dann ein 15/six Familiale auf, und es war Hundegebell und Drehorgelmusik zu hören. Und in einem Schuppen stand längere Zeit ein 11 Légère mit einem traurigen Ausdruck in den Scheinwerfern. Inzwischen ist er verkauft und erfreut einen anderen Besitzer. "Sacré chien!"